JÓZSEF ATTILA
(1905-1937)

In einem Vorort von Budapest wurde Attila József am 11. April 1905 geboren. Seinen Vater, einen Seifensieder, hat er kaum gekannt. Áron József verschwand, als der Junge drei Jahre alt war; zunächst glaubte man, nach Amerika, später hieß es, er habe in Rumänien gelebt. Seine Mutter, eine Waschfrau, versuchte jahrelang verzweifelt, drei Kinder und sich selber zu ernähren. Attila wurde aufs Land geschickt. Er war sieben Jahre alt, als die Mutter ihn nach Budapest zurückholte und in die Elementarschule brachte. Zwei Jahre später begann der Krieg.

„Es kam vor, daß ich mich des Abends, um neun Uhr, vor dem Lebensmittelgeschäft anstellte und daß man mir, wenn ich um halb acht Uhr morgens an die Reihe kam, erklärte, es gebe kein Schmalz mehr.
Ich half meiner Mutter, so gut ich konnte: Verkaufte Wasser im Kino, stahl Holz und Kohlen auf dem Bahnhof in Ferencváros, damit wir etwas zum Heizen hatten. Ich machte farbige Papierwindrädchen und verkaufte sie an bessergestellte Kinder, trug Körbe und Pakete in den Markthallen und so weiter.”

Die Räterepublik kam und wurde im Blut erstickt, eine flüchtige Vision der Zukunft, wie mit ihr und nach ihr die Kommunen von München, Essen, Hamburg und Kanton, mit ihren Bannern, ihren Meetings, ihren Straßenbällen. Niemals sollte Attila den Unbekannten vergessen, der ihm Lenins „Staat und Revolution” auf der Straße zusteckte. Die Mutter starb in einem Barackenhospital an Krebs, während der Junge auf einer Hamsterfahrt war. Er war vierzehn Jahre alt, bettelte, handelte mit Briefmarken und Banknoten, trieb sich auf den Straßen und in den Cafés umher, wo “die elegante Pest geschnürter Offiziere und Huren” den Sieg über die Revolution feierte.

Es gelang ihm, allmählich, mit Hindernissen, das Gymnasium zu absolvieren. Zwischendurch mußte er immer wieder arbeiten, um überleben zu können, einmal als Schiffsjunge auf Donaudampfern, einmal als Hauslehrer, einmal als Erntearbeiter. Er war siebzehn Jahre alt, als die liberale Literaturzeitschrift „Nyugat” seine ersten Gedichte veröffentlichte. „Man hielt mich für ein Wunderkind, doch war ich nur eine Waise.”

Immerhin brachte ihm eines seiner Gedichte einen Gotteslästerungsprozeß ein, in dem er allerdings freigesprochen wurde. Sein erster Gedichtband erschien mit einem Vorwort des hervorragenden Lyrikers Gyula Juhász, als Attila noch das Gymnasium besuchte; der Band trug den Titel „Bettler der Schönheit”. In ihm findet sich bereits ein so selbständiges, durchaus neuartiges Gedicht wie das Sonett „Der Hunger”.

Attila József verdingte sich als Bücheragent und Bankangestellter und schrieb sich an der Universität Szeged ein: Er wollte Gymnasiallehrer für Ungarisch und Französisch werden. Einer seiner Professoren, Antal Horger, las in einer Zeitung Józsefs Gedicht „Reinen Herzens” lies ihn zu sich rufen und meinte, solange er hier zu entscheiden habe, würde er niemals ein Lehrerdiplom erhalten. Menschen seines Schlages könnte man nicht mit der Erziehung der Jugend betrauen. József verließ darufhin die Universität, ging nach Wien, wo er ein Jahr verbrachte und mit Kommunisten in Berührung kam; dann ging er nach Paris, studierte an der Sorbonne, übersetzte Villon und Apollinaire.

In den letzten Jahren vor der Weltwirtschaftskrise kehrte er nach Budapest zurück. Er schrieb sich wieder an der Universität ein, er versuchte wieder, einen Platz im Leben zu finden. Für kurze Zeit stieß er zu den bäuerlich-demokratischen Volkstümlern. Kommunist wurde er im Herbst 1930, als die illegale Partei, unter Donner schlägen sichtbar werdend, aus dem Blutstrom der Jahre auftauchte und riesige Demonstrationen die Straßen und Plätze von Budapest füllten. Er gehörte der Partei bis 1934 an. Seine Kraft erlag dem Übermaß seines materiellen und moralischen Elends; sie war auch dem Unverständnis einiger Sektierer nicht gewachsen. Aber sein Kampf in den Reihen der Kommunisten prägte sein Werk und bereicherte es in unerhörtem Maße; bis zur letzten Stunde blieb er den Kommunisten und ihrer Sache treu.

Im Schatten der Galgen und Schafotte flüchtete die ungarische Revolution in Attila Józsefs Verse, die nicht mehr erscheinen konnten, aber im Gedächtnis revolutionärer Arbeiter und Intellektueller lebten. Durch Europa dröhnte der Faschismus. In einem Brief Józsefs, den er Anfang 1933 an den Lyriker Babits richtet, heißt es: „Seit längerer Zeit hungern wir, meine Frau und ich, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Wirtschaftsverband der Schriftsteller wies mir als Mittagessen einen Kaffee und eine Semmel im Café Club an; diese Hilfe nahm ich monatelang in Anspruch, sie hörte aber am 1. Januar auf. Mein Einkommen machte in diesem Jahr fünf zehn Pengö aus. Alle unsere Sachen, das Bettzeug einbegriffen, sind versetzt. Wir heizen nicht. Ich habe keine Schuhe, richtiger, ich trage ein Paar 43er; meine Schuhgröße ist 39. An den Hunger habe ich mich schon gewöhnt.” Die Schizophrenie, die sich in seinen Versen ankündigt, bricht aus, führt ihn in die Nervenheilanstalt.

„Ich lausche den Nachrichten, die eine Stimme aus meiner Tiefe bringt”, lautet eine Notiz. Aber die grandiosen Verse, die in den letzten Jahren entstehen, sind nicht nur einfach Produkte der Krankheit; sie bäumen sich gegen die Krankheit auf, sie rufen nach Vernunft und Ordnung; und wo sie von Ängsten und Verzweifelung handeln, geht es stets auch um die Ängste aller, um die ungewisse Zukunft der Menschheit. Die wirkliche Krankheit, die ihn nicht aus den Fängen läßt, auch als die Anstalt schon hinter ihm liegt, das ist der „Dschungelstaat”, von dem in einem Gedicht die Rede ist. Attila József erliegt dem Faschismus, dem Hunger, einer wahrhaft mörderischen Einsamkeit. Er ist zweiunddreißig Jahre alt, als er sich im Winter 1937 in der Nähe eines kleinen Dorfes am Plattensee vor einen Güterzug wirft.

Dieser Text wurde von hier geborgt und leicht verändert.

eigenständige Veröffentlichungen:

Szépség koldusa (Bettler der Schönheit). Szeged, 1922 (Reprint 1980).
Nem én kiáltok (Nicht ich schreie). Szeged, 1925 (Reprint 1985).
Nincsen apám, se anyám (Keine Mutter und kein Vater) 1929.
Döntsd a tõkét, ne siránkozz (Stürze das Kapital, jammere nicht). 1931 (Reprint 1980).
Külvárosi éj (Vorstadtnacht). 1932.
Medvetánc. Válogatott költemények 1922-1934. (Bärentanz. Ausgewählte Gedichte 1922- 1943). Budapest, 1934.
Nagyon fáj (Es tut sehr weh). 1936 (Reprint 1988).
Összes versei és mûfordításai (Alle Gedichte und Übersetzungen. Hg.) szerk. Bálint György, 1940.
Összes versei és válogatott írásai (Alle Gedichte und ausgewählte Schriften. Hg.) , szerk. Németh Andor 1938.
Összes mûvei 1-4, kritikai kiadás. Szerk. Szabolcsi Miklós, Waldapfel József, 1952-67.
Versek. Kétnyelvû kiadás. (Gedichte. Zweisprachige Ausgabe) Mihai Beniuc fordításával és elõszavával. [Kcl.] Poezii. Editie bilingva. Bucuresti, 1967, Irodalmi K. 372, [3] p.
Összes versei, kritikai kiadás, szerk. Stoll Béla, 1984.
A legutolsó harcos (Der letzte Kämpfer) (Reprint 1989).
Válogatott versei. (Ausgewählte Gedichte) Vál., elõszó: Béres Attila. (Bp.) 1975, [Magvetõ]. 415 p. (A Magyar Irodalom Gyöngyszemei.) (Kozmosz Könyvek.)
Szabad-ötletek jegyzéke. (Verzeichnis freier Ideen) (Közzéteszi, jegyz. Stoll Béla). (Bp.) 1995, Atlantisz. 97 p. Bibl. a jegyzetekben: 51-63. p. (Veszedelmes Viszonyok.)
Tanulmányok és cikkek. (Aufsätze und Artikel) 1923-1930. Szövegek. (Közzéteszi: [munkaköz.] Horváth Iván vez.) Bp. 1995, Osiris. 326 p. Bibl.: 326. p.

Publikationen in deutscher Sprache

*Jozsef, Attila, 1905-1937. Gedichte / Attila Jozsef.
Hrsg. von Stephan Hermlin ; deutsch von Gunther Deicke … [et al.].
1. Aufl. Berlin : Volk und Welt, 1960.

*Attila József, Am Rande der Stadt (übersetzt von Alexander Gosztonyi).
Tschudy, St.Gallen 1963.

*Attila Jozsef: Ein wilder Apfelbaum will ich werden. Gedichte 1916-1937. Aus dem Ungarischen übersetzt, ausgewählt und herausgegeben von Daniel Muth [Csaba Báthori]. Mit einem Vorwort von Ferenc Fejtõ und einem Nachwort von György Dalos. Ammann, Zürich 2005.

Szabolcsi, Miklos: Attila Jozsef – Schöpfer ungarischer sozialistischer Dichtung von weltliterarischem Rang. 155-184.
IN: Szabolcsi-Miklos (ed. & pref.); Illes-Laszlo (ed.); Farkas-Jozsef (ed.). „Wir kämpften treu für die Revolution”: Studien zur Geschichte der ungarischen sozialistischen Literatur. Budapest : Akad. Kiado, 1979. 585 p.

ATTILA JÓZSEF – Leben und literarische Entwicklung
(aus: Tibor Klaniczay: Handbuch der ungarischen Literatur. Budapest 1977, S. 452-464.)

In der ungarischen Literatur des 20. Jahrhunderts kann dem Lyriker Ady an Bedeutung nur Attila József an die Seite gestellt werden, so unterschiedlich auch das Lebenswerk der beiden ist. Gänzlich verschieden gestaltete sich auch ihr ganzer Lebensweg, was nicht allein an der Verschiedenheit ihrer Persönlichkeiten lag und auch kein Zufall war. Ausschlaggebend dafür ist die unterschiedliche historische Situation und die andersgeartete Aufgabe, die den beiden zufiel. Adys Aufgabe war es, anzuregen und eine abgestandene alte Welt in Gärung zu bringen. Attila József durfte bereits das Begonnene vollenden und zusammenfassen. Nachdem Ady seinen persönlichen Ton gefunden hatte, platzte er wie eine Explosion in die ungarische Literatur hinein; Attila József mußte sich fast ein Jahrzehnt lang entwickeln, mußte erst reif werden, bevor er seine völlig neue künstlerische Welt herauszugestalten vermochte. Daran lag es, daß man seine Bedeutung und seine Rolle erst mit großer Verspätung begriff.

Lebenslauf

Attila József kam in einem Arbeiterviertel Budapests als sechstes Kind eines halb ungarischen, halb rumänischen Seifensieders und eines ungarischen Bauernmädchens von der Tiefebene zur Welt. Als Attila drei Jahre alt war, verließ der Vater unter dem Druck der schweren Verhältnisse die Familie; er wollte nach Amerika auswandern, um dort mehr für die Seinen verdienen zu können. Es gelang ihm nicht, er kehrte nicht zu seiner Familie zurück. Attila József kam vorübergehend zu Zieheltern ins Dorf, dann wiederum in die Hauptstadt zurück und lebte dort das notdürftige Leben eines Proletarierkindes. Die Mutter, die sich als Wäscherin durchschlug, starb 1919. Es linderte die Einsamkeit des Jungen wenig, daß ihn der Gatte seiner älteren Schwester, ein Rechtsanwalt, unterstützte, für seine minimalen Bedürfnisse sorgte und ihn in der Provinz zur Schule gehen ließ. Er fühlte sich doch immer als armen Verwandten behandelt.

Der erste Gedichtband des Siebzehnjährigen erschien mit der Unterstützung des Dichters Gyula Juhász. József studierte an der Szegeder Universität, ging 1925 nach Wien und setzte 1926-1927 in Paris seine Studien fort, immer unter äußerst schwierigen Verhältnissen. Um diese Zeit wurde er mit dem Marxismus, der Arbeiterbewegung und den modernen Kunstrichtungen bekannt. Obgleich die Gedichtbande Józsefs in rascher Folge erschienen, hat niemand seine wahre Bedeutung erkannt. Er wandte sich immer entschiedener gegen die bestehende Gesellschaftsordnung und trat 1930 in die illegale kommunistische Partei ein, nachdem schon vorher gewisse lockere Verbindungen bestanden hatten.

Anfang der 30er Jahre leistete József aktive Parteiarbeit, 1931 erschien ein Band revolutionärer Gedichte, den die Staatsanwaltschaft beschlagnahmen ließ, der Dichter wurde dafür wiederholt vor Gericht gestellt. Durch die Tätigkeit in der Bewegung fand er im Kreis der Arbeiter eine verständnisvolle und hilfsbereite Gemeinschaft. Seine Lebensgefährtin dieser Jahre, Judith Szántó, verband ihn noch enger mit der Arbeiterbewegung. Damals widmete er sich auch theoretischen Studien, schrieb – leider nur – kurze Aufsätze.

Attila Józsefs Verbindung mit der illegalen Partei dauerte zwei oder drei Jahre. Zum Teil persönliche, zum Teil prinzipielle Gründe, die heute nicht mehr ganz geklärt werden können, führten zu einem Bruch mit der Partei. Es gelang József nicht, eine ständige Anstellung zu erhalten. Er hatte seine philologischen Studien nicht beendet, und er besaß kein Diplom. Mit seiner gelegentlichen schriftstellerischen Arbeit konnte er nur äußerst schwer durchkommen, zuweilen darbte er im engsten Sinn des Wortes. 1931 erschien der Gedichtband Nacht in der Vorstadt (Külvárosi éj), der ihn bereits als vollständig ausgereiften Dichter zeigte, dennoch wurde er von der Kritik wenig verständnisvoll aufgenommen.

Das Gefühl der Vereinsamung wurde immer starker, die überempfindlichen Nerven begannen Krankheitssymptome zu zeigen. Der Dichter unterzog sich einer psychoanalytischen Behandlung, die ihm anscheinend mehr schadete als half.

1934 erschien ein Sammelband unter dem Titel Bärentanz (Medvetánc) und 1937 der letzte Band, Es tut sehr weh (Nagyon fáj). Damals begannen einige Kritiker, sich mit dem Dichter seiner Bedeutung entsprechend näher zu befassen, József wurde Mitherausgeber der 1936 ins Leben gerufenen Zeitschrift „Szép Szó”. Eine allgemeine Anerkennung ließ indes noch immer auf sich warten, und unglücklich gestaltete sich auch das Privatleben des Dichters. Er trennte sich von seiner Lebensgefährtin, eine neue Liebe blieb unerwidert; und es verbitterte ihn auch, daß er nicht zum Schriftstellerkongreß in die Sowjetunion eingeladen wurde. All das zerrüttete seine Nerven derart, daß er wiederholt in eine Nervenheilanstalt gebracht werden mußte. Für die Kosten mußten andere aufkommen; diese Angewiesenheit auf fremde Hilfe seit seiner Kindheit belastete den empfindlichen Dichter schwer.

Eigentlich stand auch die Zeitschrift „Szép Szó” nicht ganz unter seiner Leitung. Attila József erkannte, daß sein Zustand unheilbar war und stürzte sich im Spätherbst 1937 vor einen Lastzug. Dies geschah in einer Ortschaft am Plattensee, wohin ihn seine Schwestern zur Erholung mitgenommen hatten.

Eine dem Rang Attila Józsefs würdige literarische Anerkennung begann erst nach seinem Tod. Offiziell anerkannt wurde der Dichter jedoch erst vom sozialistischen Ungarn.

Der Aufstieg

Zu der Zeit, als Attila József mit seinen ersten Werken an die Öffentlichkeit trat, gab es in Ungarn keinen Mangel an begabten, gebildeten Dichtern. Die Besten der Nyugat-Generation standen auf der Höhe ihrer Entwicklung, und daneben war bereits eine neue Dichtergeneration angetreten. Gedichte mit expressionistischen, futuristischen oder surrealistischen Tendenzen bedeuteten ebensowenig eine Neuigkeit wie etwa solche, die auf den schlichten Ton der alten Volkslieder zurückgriffen.

Aus seinen ersten Gedichten lernt man einen begabten Dichter kennen, der verschiedene Einflüsse seiner eigenen Persönlichkeit gemäß verarbeitet, der aber sein eigenes, ausgeprägtes Gesicht noch nicht gezeigt hat. Von Kosztolányi brachte József den Hang zu dem für gewisse kleine Meister charakteristischen illusionslos genauen Realismus und den Sinn, bestimmte Augenblicke festzuhalten mit; von Gyula Juhász die innige Gemeinschaft mit Mensch und Landschaft, das Mitleid mit den Armen, den mitfühlenden dichterisch geformten Humanismus; von Babits das Streben nach Klassizität; von Kassák lernte József später die kühneren expressiveren Wortverbindungen, den Mut zur Sprengung der älteren konventionellen Schemata, die Fähigkeit, nur auf die innere Bindung des Versbaus zu achten, sowie die Einbeziehung der modernen technisch-wissenschaftlichen Anschauungsweise und Terminologie. Andere aktuelle Tendenzen erweckten seinen Sinn für die schlichte Melodik des Volkslieds, ab er auch für seine dissonanteren Elemente.

Dem aus Paris Zuruckgekehrten merkte man surrealistische Einflüsse an, aber auch von Ady oder Majakowski stammende revolutionäre Züge waren zu spüren, die empörerische, bittere Aufrichtigkeit ließ an Villon, die beschreibende Lyrik an Verhaeren und andere denken.

Bei all dem war József kein Epigone, auch in seiner Frühzeit nicht. Jedesmal fügte er etwas Neues und Persönliches hinzu, Momente, deren Bedeutung und Neuartigkeit erst im Zusammenhang mit dem ganzen Lebenswerk richtig zu erkennen sind. Ein Meisterwerk der frühesten Zeit ist Studienkopf (Tanulmányfej), ein Sonett mit Untertönen, die an Gyula Juhász und Kosztolányi erinnern. Durch die Sonettform und die stellenweise üppige Pracht der Beiwörter steht er mit diesem Gedicht seinen Vorgängern noch sehr nahe, aber das menschliche Gesicht, das hier als Studienkopf dient, das Gesicht eines im Dunkeln sitzenden trunkenen Tagelöhners oder Landstreichers, stammt bereits aus einer Gesellschaftsschicht, in die keiner der beiden Vorgänger einen so tiefen Einblick getan hatte. Auch die Entschiedenheit des inneren Aufbaus weist über die Vorbilder hinaus. Von der räumlichen Unbegrenztheit des Morgens verengt sich das Bild zur Geschlossenheit des Saales, und weiter zur Gestalt des Menschen darin, noch weiter bis zum Gesicht und schließlich bis zum Auge des Menschen. Diese räumliche Verengung geht mit einer nicht räumlichen Vertiefung Hand in Hand; man wird von der Wahrnehmung der müden Töne des Morgens zum Begreifen eines bankrotten menschlichen Lebens geführt. Ähnliches findet man in anderen meisterhaften Gedichten wie z. B. in Der Hunger (Éhség); hier wird von Landarbeitern in der Mittagspause ein plastisches, diszipliniertes Bild entworfen, oder in dem Gedicht Der ermüdete Mensch (A megfáradt ember) mit dem ungemein warmen, innerlichen Ton.

Auch in anderer Hinsicht „lernte” Attila József auf die Weise, daß er fremde Ergebnisse aufnahm und vervollkommnete. Er übernahm vom Volkslied die schlichte Melodik und steigerte sie zu einer im höchsten Maße kunstvollen Melodie, indem er die Zeilen oder Strophen in jedem Glied einander zuneigen, sich miteinander verbinden ließ (Schwingendes Schilf; Perlen [Holott náddal ringat; Klárisok]. Ein anderes Mal unterstreicht er die soziale Bitternis des Volkslieds und macht sie bewußter, so in den „Arme-Leute-Gedichten” (Ballade vom armen Mann [Szegényember balladája]; Die Geliebte des armen Mannes [Szegényember szeretõje]). Er gestaltet die freie assoziative Gelöstheit des Surrealismus zum Lied, zugleich erhält sie ein märchenhaft groteskes Kolorit, wie z. B. in einigen Stücken des Zyklus Medaillen (Medáliák), die bald in erschreckende seelische Ängste, bald in naive, selige Verwunderung versetzen. Einsame, sich selbst überlassene Kämpfer des Proletariats kommen mit ihrer empörerischen Verbitterung im Stile Villons – zum Teil auch den Gedichten Brechts ähnlich – in seinen Gedichten zu Wort, z. B. in der Ballade vom Profit (A tõkések hasznáról). Wenn József von revolutionären Demonstrationen und Kämpfen dichtet, bekommt darin das schmetternde revolutionäre Pathos Majakowskis einen verinnerlichten Ton und strömt in lockeren Formen aus (Sozialisten [Szocialisták]; Masse [Tömeg]). Die Sehnsucht der Vereinigung mit der Welt und die Freude über diese Vereinigung findet manchmal in pantheistisch-beschwingten Gedichten, manchmal in Zeilen von naiver Reinheit (Ich segne dich mit Kummer und Freude [Áldalak búval, vigalommal] ; Siehst du? [Látod?]) ihren Ausdruck. Der leidenschaftliche Wille zum Verändern und zum Verbessern äußert sich in expressionistischer Gehetztheit (Ein schöner Sommerabend [Szép nyári este van]), dann wiederum kommen Gedichte, die die winzigen Veränderungen des Lebens bestaunen, sie genau, geradezu plastisch beschreiben (Ameise [Hangya]).

Józsefs Lyrik wurde von Schritt zu Schritt reicher, aber zu einer Synthese gelangte sie erst um 1931. Um diese Zeit entstanden die dem Umfang und der Zielsetzung nach bedeutenderen dichterischen Schöpfungen, von denen gesagt werden kann, daß sie fremde Einflüsse nur indirekt enthalten, sie sind von den Zellen seiner Dichtung aufgesogen worden, einer Dichtung, die epochal neu ist.

Beschreibende und Gedankenlyrik

Die bedeutendsten Schöpfungen des Dichters gehören in das Gebiet der beschreibenden und der Gedankenlyrik. Allerdings kann von einer starren Gruppierung so weniggesprochen werden wie von einer präzisen Bestimmung der Kategorien, sind doch Liebesbeteuerungen und politisch-weltanschauliche Bekenntnisse in jeder dieser „Gruppen” vorhanden; immerhin gehören Gedankliches und sachliche Beschreibung in der reifen Lyrik Józsefs eng zusammen.

Die beschreibende Lyrik hat in der ungarischen Literatur schöne Traditionen. Die realistischen Bilder, die Sándor Petõfi in seinen Landschaftsgedichten von der Tiefebene und den dort lebenden Menschen schuf, drücken eine selbstsichere Lebensbejahung aus, und dasselbe kann von den beschreibenden Teilen von János Aranys epischen Gedichten gesagt werden. Die materiellen Erscheinungen der Natur gaben den bei den reiche Anregungen. Gewisse Elemente und Tendenzen dieser Tradition gab der Nyugat-Dichter Gyula Juhász an Attila József weiter. Bei Juhász vermischte sich indessen die objektive Wirklichkeitsdarstellung mit dem in der modernen Kunst starker hervortretenden Subjektivismus: Die gegenständliche Welt, die Formen des Seins, Raum und Zeit erscheinen aufgelöst in der subjektiven Gemütsverfassung des Dichters.

Wirklichkeitserfassung

József bemüht sich um die Erfassung der objektiven Außenwelt, denn ihre Ordnung, behauptet er, ist durch objektive Gesetze bestimmt. „Hier auf glitzernder Felsenwand sitz ich…”, „Jetzt steh ich da am Eck des Eisenwerks”, heißt es in den Gedichten. Während er die Welt betrachtet, bringt er auch sich selbst an einem anscheinend unverrückbar schweren, räumlich und zeitlich bestimmten Punkt unter: am Stamm eines sich aus dem Dunkel vorneigenden „Baumes mit Rostblättern”, oder auf einer Hügelkuppe, die Übersicht über Landschaft und Dinge bietet. Mit Erschütterung nimmt der Dichter die Tatsachen der Außenwelt zur Kenntnis, die durch das Subjektive, Innere nicht verändert werden können. Das bezieht sich auf Gegenstände, soziale Zustände und allgemeine Gesetze der Existenz. Die flaumweiche Dämmerung muß dem eisigharten Himmelsgewölbe weichen, und die scheinbar friedliche Stille des Dorfes wird als lebensfeindliche Starre entlarvt (Theißwinkel [Tiszazúg]). Ein anderes Mal wird der Rausch des „luftigen, sanft warmen Frühlingsabends” durch einen Blick verscheucht, der die auf der Straße schlafenden Menschen trifft (Mein Vaterland [Hazám]). Den in den Zauber der Jugenderinnerungen Flüchtenden mahnen die wie Zellengitter über ihm ausgespannten Sternbilder mit ihrem kalten Licht und die Glockenschläge, die mit hartem Dröhnen die Stille zerbrechen, daß die Dinge der Welt in die

unerschütterlichen Seinsformen von Raum und Zeit eingeschlossen sind (Besinnung [Eszmélet]). So gewinnt in dieser Lyrik die Außenwelt nicht nur ihren objektiven Charakter wieder, sondern die gegenständliche massive Realität wird auch in jedem Moment nachdrücklich betont (Am Rande der Stadt [A város peremén]).

Konstruktiver Aufbau

Diese Harte will nicht nur die objektive Realität der Dinge betonen, sie macht zugleich ihre Entfremdung oder anders gesagt: ihre Menschenfeindlichkeit fühlbar. überdies ist die in den Gedichten dargestellte Außenwelt um vieles umfassender und komplizierter als jene, die die Dichter im vorigen Jahrhundert kannten. Winternacht oder Güterzüge rangieren erfassen den Anblick in kosmischen Perspektiven, in deren Unendlichkeit die ganze vom Menschen übersehbare Weil winzig ist, ein Mikrokosmos von Atomgröße, ein im Rauch schwirrendes Funkengebilde. In den Gedichten An der Donau oder Besinnung erscheinen dagegen das Schicksal und die unmittelbare Umwelt des Menschen in „die Vollständigkeit der Zeit” einbegriffen.

…Die Donau strömte. Wie im Schoße schön
der schwangeren Mutter (sie gibt nicht drauf acht)
das Kind spielt, konnte ich Wellen spielen sehn,
und manchmal haben sie mir zugelacht,
Grabsteinen gleichend, auf dem Strom der Zeit
erzitternd, stürzend in Vergänglichkeit.
[…]

So bin ich nun. Seit hunderttausend Jahren
seh ich, was jäh mir in den Blick eintritt.
Eine Sekunde – und die Zeit erfahren.
Und hunderttausend Ahnen schauen mit.
Ich seh, was sie nicht sehen konnten. Graben,
umarmen, töten, säen hieß ihr Bann.
Und dennoch müssen sie gesehen haben
im Kern des Stoffs, was ich nicht sehen kann.
Einander kennend wie Freuden und Leiden,
hab ich das Einst, das Jetzt gibt ihnen sich.
Wir schreiben gleichen Stiftes diese Seiten.
Ich fühle sie, und ich erinnre mich.

(An der Donau [A Dunánál])
(Deutsch von Stephan Hermlin)

Das unendliche Bild setzt sich oft aus scharf kontrastierenden Teilen zusammen, einander gegenübergestellte Stücke werden von Schritt zu Schritt zu einem erstaunlich konstruierten Ganzen, wobei diese fast ingenieurhaft geplante Konstruktion doch verborgen bleibt. Das vollständige Bild, das am stärksten in Winternacht (Téli éjszaka) ausgeprägt ist, dem aber in dieser Hinsicht Nacht in der Vorstadt (Külvárosi éj) oder auch Elegie gleichen, vereinigt die lebensvollen menschennahen Details mit den Elementen, die dem Menschen total und extrem fremd sind.

…Die schiefen, schlechten Stufen,
zerbrochene Fensterscheiben rufen
herab die Tage ins feuchte Dunkel.
Gesteh’s,
Bist du von hier?
Du bist es, darum bleibt das eine dir:
der düstren Sehnsucht dich zu fügen,
zu sein wie alle die Vergessenen,
von dieser großen Zeit Besessenen
mit den verunstalteten Zügen.
Hier ruhst du, wo der krumme Zaun mit Strenge
der gierigen Moral Gestänge
bewacht.
Er knarrt, gibt acht.
Erkennst du dich, wo sich die Seelen
nach einer festgefügten, schönen, sichern Zukunft sehnen?
Sie warten leer, wie ringsherum die Gründe,
daß bald ein hohes Haus mit Lust und Leben
auf ihnen stünde.
Im dürren Gras die dreckverklebten Scherben
schauen mit matten, starren Augen
auf das Verderben…
…Ob du es weißt,
welch ein Bewußtsein, welch eine schmale Freude
dich lockt, warum die Gegend dich zurückreißt
an diesen Ort zu reichem Leide?
Zur Mutter kehrt so heim das Kind,
zu dem die Fremden grausam sind.
Denn unverwandt
kannst du allein hier weinen, lachen,
nur hier aus dir was Rechtes machen,
o du! Das ist dein Land.

(Elegie)

Denkt man an Städtebeschreibungen Verhaerens, so sind das nur sehr ferne Anklänge vielleicht auch gewissermaßen Vorläufer dieser Dichtung. Bei Verhaeren erscheinen die Elemente der modernen gegenständlichen Welt noch als Abbilder uralter Mythen. Bei Attila József sind die Landschaft und ihre Elemente in ein modernes wissenschaftlich fundiertes Weltbild eingebaut. Seine Gedichte stellen eine nach den Gesetzen der objektiven Wirklichkeit konstruierte Ganzheit dar, und darin weichen sie vom größten Teil der modernen gegenständlichen Lyrik ab. Man wird bei József mit einem von Gegensätzen durchdrungenen, in allen Gliedern Geheimnisse bergenden, mit der disziplinierten menschlichen Vernunft dennoch meßbaren geordneten Weltganzen konfrontiert. In einer Welt, die aus losen mikro- und makrokosmischen Ketten aufgebaut ist, muß sich der auf sich selbst gestellte Mensch behaupten. Das ist die Anschauung der materialistischen Dialektik; es ist das fremden Mächten ausgelieferte, aber den Kampf um das menschliche Sein durchaus entschlossen auf sich nehmende klassenkämpferische Proletariat des 20. Jahrhunderts, das da spricht, und es spricht zugleich ein überaus empfindlicher, aber streng logischer Künstler. So ist die Dichtung Attila Józsefs wohl die höchste Leistung, die die sozialistisch-realistische Lyrik hervorgebracht hat.

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, nachdem József seine avantgardistische Zeit hinter sich hatte, schrieb er wieder überwiegend gereimte Gedichte. Das bedeutet indes bei ihm nur zu einem geringen Teil eine Rückkehr zu schon Gewesenem. Die sehr bestimmte Konstruktion weicht ab von der früheren, artistisch disziplinierten Periode, als er sich der gegebenen Sonettform anpaßte. Die lineare Struktur, wie wir sie im Studienkopf beobachten konnten, wird jetzt von Strukturen abgelöst, die aus kontrastierenden, auch die Spannkraft von Dissonanzen nutzenden Teilen aufgebaut sind. Damit im Zusammenhang löst eine scheinbar unregelmäßige Form das regelmäßige äußere Schema ab. Es sind da Zeilen von wechselnder Lange, ungebundene Reim- und Rhythmikformeln, wobei aber die Tatsache, ob Reime vorhanden oder nicht vorhanden sind, an welcher Stelle sie stehen und welcher Art sie sind, jedesmal eine spezifisch bestimmte Funktion im Gesamtaufbau des Gedichtes hat.

Diese Struktur hat genausoviel von Kassáks neuartig individuellem wie vom traditionellen Versbau.

Die Grundfragen des menschlichen Seins

Das Gefühl der totalen Einsamkeit war in József ebenso stark wie die Bereitschaft des Künstlers, in der Außenwelt glücklich und erfüllt aufzugehen. Diese Ambivalenz zeigt sich in seinem ganzen Lebenswerk, aber auch in einzelnen Gedichten wie z. B. in der Ode.

…O wie heiß
liebe ich dich,
die du im tiefsten Herzabgrund der tückischen Einsamkeit
und die du dem All
gleicherweise Rede verleihst!

Dich, die wie der Wasserfall vom eigenen Gedröhn
sich von mir löst und mir flink entstiebt,
während ich vor meines Lebens steilsten Höhn
in der Näh, der Feme sing und klage,
mich am Himmel und mich an der Erd zerschlage,
daß ich dich, du süße Bitternis, daß ich dich lieb!

Brocken geronnenes Blut
fällt Wort um Wort
rot vor dich hin.
Das Leben stottert im trunkenen Mut.
Das Gesetz aber spricht mit nüchternem Sinn.
Meine Zellen, die rastlos sich mehren,
mich alltäglich neu zu gebaren,
sind bald verdorrt.

Doch bis zu dieser Stund brülln sie nach dir!
Du: Eine, Einzige, auserlesen
aus zwei Milliarden Menschenwesen,
wohnliche, weiche Wiegestätt,
Grab voll Kraft, lebendiges Bett,
nimm mich in dich!

Wie hoch doch der Himmel sich aufwölbt im Morgen,
der dämmert!
Heere glitzern in seinem Erz.
Der Speer seines Lichts sticht mein Aug aus.
Ich bin verloren.
Über mir hämmert
mein Herz.

(Ode)
(Deutsch von Franz Fühmann)

Die völlig verhüllte, aber sehr regelmäßige Konstruktion wird von ständig andere Gestalt annehmenden Motivpaaren – besonders der Wandelbarkeit und der Unwandelbarkeit – bestimmt, die geradezu archetypische Tiefe besitzen.
Ausgehend von dem „Zustand von Jetzt und Hier” stößt Attila József vor zu den fundamentalen Fragen der menschlichen Existenz, und er gibt Antworten auf die aufgeworfenen Fragen, wie z. B. auch in den Gedichten Besinnung und Gelegenheitsgedicht über den Stand des Sozialismus (Alkalmi vers a szocializmus állásáról). Im ersteren fallt er ein tragisches Urteil über das menschliche Sein, in dem die schönen Möglichkeiten einer machbaren schönen Welt und Ordnung unerfüllt bleiben.

Ich blicke unterm Abend auf
und schau des Himmels Zahnradsätze:
Ein Webstuhl webt dort aus dem Lauf
der Zufallsfaden die Gesetze.
Und als den Blick ich wieder hebe
aus Dunst und Traumgespinst hinauf,
Was seh ich? Das Gesetzgewebe
geht irgendwo doch immer auf.

(Besinnung)

In dem anderen Gedicht bekennt er, daß der schöne, unaufhaltbare Rhythmus des Lebens stärker ist als die Widersprüche der Wirklichkeit und daß der Mensch sich in diesen Rhythmus einzuschalten vermag.

Wenn jeder Stempel auch krachte,
die Grube stürzte ein,
erhalten blieb doch im Schachte
das Erz in dem Gestein.
Die Kumpel kommen doch wieder
solang noch heil ihre Glieder,
sie dringen stets wieder ein.

(Gelegenheitsgedicht…)

Durch diese Erkenntnis erleuchtet, läßt er das menschliche Ich in der Außenwelt aufgehen: „nicht im Gras, in den Bäumen, sondern im ganzen” erblickt er – gleichsam mit dem All verbrüdert – „wie der Wind ein Netz im Laub webt”, und wie der Abend sanft und still die zerwühlten Linien der Wolken glättet.

Revolution und Einsamkeit

Daß in den Gedichten das Erlebnis der zerfallenden Gesetze zum Ausdruck kommt, hängt stark mit der historischen Tatsache der Machtergreifung des Faschismus in Deutschland zusammen. Um 1930 schrieb József von klassenkämpferischer Leidenschaft erfüllte, zielbewußte, revolutionäre Gedichte. Damals entstanden Masse, Sozialisten, Holzfäller, Arbeiter (Favágó; Munkások), und Am Rande der Stadt, ein Gedicht, das die Lehren des historischen Materialismus in künstlerische Form faßt. Auch später erhebt der Dichter noch seine Stimme für eine menschenwürdige Existenz, als er nicht mehr an die Möglichkeit glaubt, daß in naher Zukunft eine sozialistische Gesellschaft zu verwirklichen sei. Bald leise sehnend (Thomas Mann zum Gruß [Thomas Mann üdvözlése]), bald leidenschaftlich fordernd (Luft! [Levegõt!]) spricht er von einer Welt, in der Freiheit und Ordnung herrschen, die daher schön und klug ist, und in der auch das Leichte und Spielerische Platz finden. Die klare kultivierte Vernunft und die instinktive Suche nach Gefährten empfindet er als zu dem innersten Wesen des Menschen gehörig:

Mein Meer ist in der warmen Bucht
von Armen, die mich sanft umfangen.
Mein Himmel ist der Menschheit Licht,
das mit Verstand sie kann erlangen…

heißt es im Schon lange… (Már régesrég…). Darum erkennt er es als die höchste menschliche und künstlerische Aufgabe, eine menschenwürdige Gesellschaft zu erkämpfen, die menschliche Integrität zu schützen.

Ich kehr dem Kneipenglück den Rücken,
dring durch bis zur Vernunft, zum Recht,
ich, freier Geist, werd mich nicht bücken,
ich bin nicht dumm und bin kein Knecht.

Sollst essen, trinken, schlafen, küssen,
das Weltall sei dein Maß, gib acht,
du darfst, du sollst nicht dienen müssen
um schlechten Lohn der schnöden Macht.

Halt fest das Glück und sprich nicht drüber,
damit auch keiner dir was tut,
sonst saugen rote Flecken, Fieber
dich aus und machen dich kaputt.

Der Mensch ist noch nicht groß, mitnichten,
er glaubt es bloß, drum ist er dreist.
Ihn zu betreun sind Elternpflichten
von zweien: der Liebe und dem Geist.

(Ars Poetica)

In den letzten Lebensjahren wird die völlige Vereinsamung das beherrschende Erlebnis des Dichters: Er empfindet sich als einen Teil der „im leeren Raum schwankenden Welt”; „mein Herz sitzt auf dem Zweig des Nichts”, so im Gedicht Hoffnungslos (Reménytelenül). „Meine Sachen hören zu wie leere Bänke dem verrückten Lehrer”, „was ich anfasse, hält meine Hand nicht”, klagt er an anderer Stelle. Das Erlebnis des Zerfalls, der Zersetzung oder auch das Erlebnis des Eingeschlossenseins klingt aus den Zeilen, die er mit zerrütteten Nerven schrieb: „Hinter den Gittern meiner Ideen springe ich umher wie der Affe und fletsche die Zahne” (Springt ein und aus… [Ki-be ugrál…]). Aber selbst die Schrecken des zerfallenden Bewußtseins finden ihren Niederschlag in vollkommen klaren Bildern, in Versen von klassischer Disziplin. Er schreibt in dieser Spätzeit Gedichte, die den Wirbel apokalyptischer Bilder der Qual in künstlerische Form fassen (z. B. Es tut sehr weh), aber zugleich auch solche von objektivem psychologischem Realismus; er bringt es fertig, seinen Seelenzustand wie eine Erscheinung der Außenwelt zu betrachten. Dann wiederum Gedichte, die – wie einer seiner Kritiker feststellte – „Mitteilungen enthalten, die der Leser, wenn nicht aus jeder Zeile eine süße Musik herausklinge, nicht ertragen könnte.” Das Liedhafte seiner frühen Gedichte kehrt in der Spätzeit in vollendeter Form ebenfalls wieder.

Fortsetzung der Tradition

Metrisch und der Strophenform nach ist die Lyrik Attila Józsefs ebenfalls außerordentlich vielfältig. In seinen Bänden kommen einfache Lieder und mehrteilige Kompositionen vor; bald bedient er sich antiker Formen, bald schreibt er freie Rhythmen, dann wiederum Sonette oder Sonettzyklen. Abwechslungsreich sind Józsefs Gedichte auch akustisch. Manchmal ist der Klang den begrifflichen und bildhaften Folgen untergeordnet, dann wieder gewährt er der Musikalität fast völlige Freiheit.

Eine der Eigentümlichkeiten seiner Dichtung ist der stark persönliche Ton. Er berichtet von den Ereignissen seines Lebens genauso wie von seiner Klasse, seiner Nation oder der Menschheit. Mit dieser Eigenschaft setzt er ebenfalls eine Tradition der ungarischen Lyrik fort, die er übrigens auch erneuert. Je klarer József das Brüchige des 20. Jahrhunderts, das Widerspruchsvolle der Welt erkannte, um so mehr strebte er nach dem Gesetz und um so mehr hielt er es für seine Pflicht, in der Welt seiner Gedichte eine strenge Ordnung zu schaffen. Er erlebte die Einsamkeit des Menschen, seine Verlorenheit in der Welt und brachte diese Gefühle zum Ausdruck; zugleich aber gab er auf die Grundfragen eine von sozialistischer Weltanschauung durchdrungene Antwort, wie sie die Situation des Menschen erforderte: Die Aufgabe des Menschen ist, die Welt mit seiner Vernunft zu messen, in ihr seinen Platz zu finden und für eine Humanisierung zu kämpfen.

Reinen Herzens

Mutter tot, der Vater fort,
keinen Gott und Heimatort,
keine Wiege und kein Grab,
kein Bett und keinen Schatz ich hab.

Seit drei Tagen leid ich Not
nicht einmal ein Bissen Brot
Zwanzig Jahre sind mein Heil,
zwanzig Jahre biet ich feil.

Wenn ich keinen Käufer find,
schlag ich alles in den Wind.
Breche reinen Herzens ein,
morde auch, wenn’s grad muß sein.

Fängt man mich, werd ich gehängt,
warmes Erdreich mich empfängt,
unheilvoller Kräuterwust
wächst aus meiner wackren Brust.

1925
(nach Geza Engl)

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