Die schwäbische Entwicklungshilfe in Ungarn

Auf dem Weg zur Eingliederung Ungarns in die Habsburger-Monarchie hatte Herrscher Karl III. den Freiheitskampf als Lernbeispiel für seine späteren Aktivitäten betrachtet. Er wusste wohl, dass er – nicht zuletzt im Interesse seiner eigenen Absicherung beim Aufbau des verwüsteten, verarmten und menschenleeren Landes – die Unterstützung aller sozialen Schichten benötigen würde. Zur Zufriedenheit der Magnaten sprach er ihnen das Königswahlrecht aus (für den Fall des Aussterbens der kaiserlichen Nachkommenschaft), legte großen Wert auf die Neuvergabe der Ländereien und sicherte die Südgrenze Ungarns vor den immer noch potentiell starken osmanischen Angreifern. Der Bevölkerungsstand spiegelte den desolaten Zustand des Landes wieder: etwa 3,9 Millionen Einwohner.

(Zum Vergleich: nach 1650: 4,2 Mio)

Der König entschied sich, die blühende Provinz von einst mit Hilfe deutscher Einwanderer auf die Beine zu stellen. Dazu stand ihm eine politische Institution zur Verfügung: die Haupt- und Subkommission zur Ausführung des „Einrichtungswerkes”. Sie wurde aufgrund des sogenannten „Impopulationspatents” eingerichtet – ein Gesetz, das sein Vorgänger Kaiser Leopold erlassen hatte.
Es wurden Ansiedlungsverträge in ungarischer und deutscher Sprache angefertigt, in denen vor allem Vergünstigungen eine wichtige Rolle spielten. Die großen Versprechungen lockten denn auch zahlreiche deutsche Leibeigene nach Ungarn, die sich jedoch zunächst von ihren Herren freikaufen mussten. Sie alle wurden unter der Bezeichnung „Donauschwaben” zusammengefasst, obwohl sie vielmehr Pfälzer, Bayern, Franken oder Lothringer waren. Die deutschen Auswanderer des 18. Jahrhunderts kamen gern, da ihr Land vergleichsweise überbevölkert war und die Steuerforderungen wegen der vielen kriegerischen Auseinandersetzungen sehr hoch waren.

In der Hoffnung einer strahlenden Zukunft bestiegen sie die Schiffe an der Donau; von Regensburg aus dauerte die (kostenlose) Fahrt nur sechs Tage. Als Reisegeld erhielten sie einen Gulden in die Hand. Männern und Frauen, die nicht verheiraten waren, blieb die Reise in ein neues Leben verweigert: Die Heiratsurkunde musste als Fahrschein vorgewiesen werden. Bauern erhielten in ihrer neuen Wahlheimat zehnjährige Steuerfreiheit, Handwerker gar fünfzehn Jahre.

Die Einwanderer standen unter der Kontrolle der hiesigen deutschen Herrschaftsbeamten und hatten den Stadtmagister aus dem Kreis ihrer Landsleute zu wählen. Weiterhin sah das Abkommen vor, dass der Gastgeber auch für ihr „seelisches Wohl” sorgte, indem man ihnen „einen Diener der Kirche und Seelenvater” beigab. Zu den konkreten Gütern hieß es: Zwei Zugochsen, eine Melkkuh und zwölf Wecken Samenkorn gehörten jedem neuen Wahlungarn.

Dieses Geschenk war nur auf den ersten Blick großzügig, da mit der Zeit alles, in welcher Form auch immer, zurückerstattet werden musste. Das verlockende Angebot bedeutete nicht für alle eine Gnade Gottes; viele von ihnen waren ausgezeichnete Fachleute, die an höhere Tagegelder und bessere Umstände gewöhnt waren.

Hin und wieder tauchten unerwartete Probleme auf: Manche Dörfer wurden von hungrigen Wölfen angegriffen oder von Seuchen heimgesucht. Diejenigen, die sich mit den verfallenen Häusern und provisorischen Erdhütten nicht begnügen wollten, flüchteten gleich in die Heimat zurück. Im Jahre 1712 wurden z.B. in der Nähe von Nagykároly 174 Schwaben angesiedelt. Davon starben noch im gleichen Jahr 28 und 91 Personen liefen davon.

Rechte und Pflichten

Als Gegenleistung mussten die Neuansiedler Landwirtschaft, Industrie und Handel mobilisieren. Die freie Religionsausübung wurde ihnen zwar gewährt, aber zur Beibehaltung des Friedens mit den ursprünglichen Bewohnern wurde jeder Religionsgemeinschaft eine andere Ortschaft zugewiesen. Kirchliche Orden siedelten Zisterzienser und Pauliner an. Durch den Zusammenfluss der Siedler aus den verschiedenen Gebieten des Deutschen Reiches entstand in Ungarn „ein lächerlicher Mischmasch in der Sprache und Kleidertracht”.

Nach einer zeitgenössischen Quelle „erhielt die Sprache zwischen Mosel und Rhein den Sieg”. Es setzte sich außerdem durch, dass die Männer „dreieckige spitzausgestülpte Hüte, lange Röcke aus Tuch oder Leinen, meist kurze Lederhosen, Strümpfe von verschiedenen Farben und Schuhe mit Schnallen” trugen. Dagegen sahen die Frauen richtig schick aus: „Sie zogen verschiedenartig geformte Hauben, wunderbare Röcke, Kittel aus Tuch und allerhand Zeug, welche aus einer dicken Wulst um die Hüften herum hingen, und außerdem ziemlich kurz waren, dann schmale Schürzen, darbige Strümpfe und Schnallenschuhe mit hohem Absatz an.”
Mit dem ersten Schwabenzug (1723-26) kamen 15.000, mit dem zweiten (1763-73) 48.000 und dem dritten (1782-87) 45.000 Personen nach Ungarn. Die ersten Kolonisten kamen nach Siebenbürgen, nach Banat, danach ins Komitat Baranya, wo sie mit dem Zentrum Fünfkirchen (Pécs) zusammenhängende Siedlungsgebiete unter dem Namen „Schwäbische Türkei” bildeten. Besonders viele Zuwanderer aus Bayern siedelten sich in Buda und Stuhlweissenburg (Székesfehérvár) an.

In den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts konnten Ofen und Pest von ihren früheren Privilegien als freie königliche Stadt nur träumen. Bis 1703 waren sie der Wiener Kaiserlichen Hofkammer unterstellt. Nach der Befreiung Budas (1686) mussten die Bewohner einen Bürger-Eid leisten, um Bürger der Stadt zu bleiben bzw. zu werden. Dieses Privileg war jedoch kein Automatismus; vielmehr wurden vor allem „fremde Elemente” wie Juden oder Armenier eine Zeitlang vertrieben.

Die Verwaltung der konsolidierten Donaustädte sah nach der Türkenzeit folgendermaßen aus: in Buda gab es einen Bürgermeister und in Pest einen Stadtrichter, die zusammen mit dem Senat regierten; dessen acht Mitglieder bildeten den Magistrat. Beide Hauptfunktionäre waren seit 1688 Deutsche: Andreas Wolfgang Prenner als Bürgermeister und Valentin Johann Knipper als Richter.
Zu ihrer Unterstützung standen ihnen in Rechtsfragen bewanderte Beamte und Juristen, die ebenfalls deutscher Abstammung waren, zur Seite.

Nach 1702 durften die freigewordenen Sitze der Ratsherren aus den Reihen der Bürger besetzt werden. In jeder Angelegenheit war das Wort und die Entscheidung aus Wien maßgebend.
Zum Durchbruch der Rechtslage führte eine Petition mit zehn Punkten, geschrieben von Budaer Bürgern im Jahre 1703. Als die ersten „schwäbischen” Ansiedler in der Stadt eintrafen, wurden die alten Freiheitsrechte sowohl in Buda als auch in Pest anerkannt. Der hiesige Arbeitsmarkt war ideal und statt der Nachfrage herrschte eher das Angebot: Vor allem im Bereich Neupflanzung der Weinreben sowie Bauwesen wurden fleissige Hände gesucht.

Über den ersten Zug der Ansiedler sagen zeitgenössische Quellen relativ wenig aus. Den Angaben nach kam die Mehrheit aus Schwaben, Bayern und Niederösterreich und wurde zunächst in Budakeszi (Wudigeß) angesiedelt.

Die hiesigen Lebensverhältnisse waren besonders schlecht: Außer Ackerland stand den Menschen nichts zur Verfügung. Sie mussten ihre Häuser selbst bauen und auf die ersten Trauben noch viele Jahre warten. Die auf Mauerreste gebauten Wohnhütten konnten die Neusiedler nur als Provisorium betrachten und viele versuchten ihr Glück woanders zu finden. Laut statistischen Angaben von damals lebten hier im Jahre 1701 nur 42 Schwaben. Das Hochwasser und die Pestseuchen führten ebenfalls zur Verarmung von Buda und im Jahre 1721 zählte man nur insgesamt 193 deutsche Steuerzahler.

Zu den Hauptgebäuden der Stadt zählte die Deutsche Schule, das Pfarramt, das Gemeindehaus und die Gemeindeschenke, da Ofen das Recht zum Weinausschank besaß. Das kulturelle Leben entfaltete sich den Umständen gemäß erst einige Jahre später. Der aus Bayern kommende Johann Sebastian Landerer gründete eine Druckerei in der Wasserstadt und bald erschien die erste Buchhandlung im Burgviertel. Die damalige Budapester Zeitung (zwischen 1701 und 1738) hieß „Wöchentlich zweymal neu ankommender Mercurius”, die eher Wirtschafsinformationen brachte; das „Pesther Intelligenzblatt in Frag- und Anzeigen” hingegen veröffentlichte amtliche Nachrichten.

Später erschienen Zeitungen wie der „Merkur von Ungarn”, „Ungarische Staats- und Gelehrten Nachrichten”, „Ofner Zeitung” sowie „Der neue Kurier aus Ungarn”.
Auf dem Gebiet der Freizeitaktivitäten sind noch die Gründungen der aus der Militärtradition entstandenen Schützenvereine zu erwähnen. Die jährlich organisierten Schützenfeste gehörten zu den herausragenden gesellschaftlichen Ereignissen. Zum Erlernen der Verteidigungstechniken dienten auch die Bürger-Milizen.

Die neuen Budapester gewöhnten sich schnell an das hiesige Leben und verhielten sich stets loyal dem Wiener Hof gegenüber. Solange sie sich mit ihrem Vermögen und dem zahlenmäßigen Übergewicht nicht aus der grauen Masse hervorhoben, konnten sie in Ruhe ihrem Alltag nachgehen.

Sitzt man heute im Restaurant „Százéves” (= Hundertjährig), erscheint es absolut selbstverständlich, dass es auch eine deutsche Speisekarte gibt. Es denkt wohl kaum ein Gast daran, dass dieses Gebäude (der Péterffy-Palast) am Anfang des 18. Jahrhunderts von deutschen Bauarbeitern gebaut wurde.

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