Ich erkläre mein Zeugnis

Hier die besten Tipps und Ausreden des ungarischen Humoristen Frigyes Karinthy. Der Journalist und Literat – 1887 in Budapest geboren, 1938 in Siófok am Plattensee gestorben – wurde durch seine kurzen unterhaltsamen, satirischen und absurden Texte berühmt. Sie handeln vom Menschen, seinem Körper, seiner Seele und dem Zusammenleben mit anderen. Meist sind sie doppelbödig, wie der folgende Text, in dem ein kleiner Junge versucht die Schuld für seine schlechten Noten anderen in die Schuhe zu schieben – zur Not auch dem königlichen Marinestützpunkt in Fiume. Wir alle „erklären” ständig unsere „Zeugnisse”, ein Versuch, der bestenfalls tragikomisch wirkt – ob das Zeugnisse von gescheiterten Ehen sind oder Fehltritte in der bayrischen Landespolitik.

Also bitte, erstens, das ist noch kein endgültiges Zeugnis. Nur eine Art Vordruck, der uns ausgeteilt worden ist. Ich weiß natürlich, heute gibt’s eigentlich Halbjahreszeugnisse, aber ich bin die bedauernswerte Ausnahme. Die anderen haben ihre Zeugnisse tatsächlich bekommen, aber meines hat der Direktor ins Ministerium schicken müssen, weil sich Irrtümer herausgestellt haben. Die sollen jetzt korrigiert werden. Die Zeugnis-Überwachungs- und -Ergänzungs-Konferenz wird sich mit meinem Fall beschäftigen. Der Klassenlehrer hat extra eine Rede gehalten, als er mir dieses Papier in die Hand gedrückt hat. Er ist ziemlich verlegen gewesen. Ich soll Vater grüßen. „Bitte lieber Bauer”, hat er gesagt, „Sei so lieb und teile deinen Eltern mit, dass sich bedauerliche Fehler in dein Zeugnis eingeschlichen haben. Falsche Zahlen sind hineingerutsch. Aber wegen der Vorschriften müssen wir dein Zeugnis so herausgeben. Bitte, teile deinen verehrten Eltern mit, dass dies eine Art vorläufiges Dokument ist, dessen Angaben nichts bedeuten. Bitte deine geschätzten Eltern, sie mögen nicht grollen wegen dieses Irrtums, das echte Zeugnis wird bald ausgestellt. Vorläufig bitte sie, das zu unterschreiben, weil wir es zur Ermittlungskommission des Kulutsministers schicken müssen, mit allen anderen Papieren. Und wegen der Untersuchungen brauchen sie die Unterschrift. Aber betone”, hat er gestagt, „dass es nur eine Formsache ist. Der Minister hat sogar an den Königlichen marine-Stützpunkt in Fiume geschrieben: Sie möchten gefälligst erklären, wieso in Geographie diese … diese … Zahl hier in dein Zeugnis gekommen ist”, hat er gesagt. Diese vier in Geschichte? Das ist nur eine gewöhnliche Zahl. Das bedeutet, dass ich mich viermal gemeldet habe, aber, na ja, ich gebe zu, sie kann mißverstanden werden. Und überhaupt dieser Mangold, der Geschichtslehrer. Der ist nur ein Ersatzlehrer. Der darf eigentlich gar keine Noten geben. Er hat noch keine Prüfung in Notenkunde. Die muss er erst ablegen. Vorläufig darf er nur Ersatznoten geben, die man natürlich anders verstehen muß, impertinieren: statt eine Zwei eine Eins, statt eine Vier eine Zwei. Erst wenn er seine Prüfung abgelegt hat, dann werden in den Zeugnissen die vorläufigen Noten durch die richtigen ersetzt. Bis dahin läßt er dich bitten, sei ihm nicht böse, außerdem läßt er dir sagen, dass ich in Geschichte viermal drangekommen bin. Einmal habe ich eine unterstrichene Zweidrittel bekommen, einmal eine Eins und einmal eine Dreiviertelzwei. Das möchtest du bitte addieren, die geometrische Mitte nehmen und es kommt eine Dreiviertelzwei heraus – sogar unterstrichen. Zuerst hat er mich nach Franz II. gefragt, aber dann hat es geklingelt. Dann hat er mich nach dem Erbfolgerecht gefragt und ich habe geantwortet: Schmalkadener Bund, und dann habe ich gesehen, wie er ein Einkommafünf in sein Notizbuch geschrieben hat. Ja und dann hat er das Notizbuch verloren.

Ach so, in Physik? Also in Physik bin ich schon in November drangekommen. Er hat gefragt, wie sich die Erde um die Sonne dreht. Ich habe geantwortet, auf einer Ellipsenbahn, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht – und das verdanken wir Newton. Aber dann hat er mich mit dem Jungen neben mir verwechselt, der auf Dreiviertelvier steht. Und das hat er versehentlich mir gegeben. Ich habe natürlich protestiert. Daraufhin hat das Lehrerkollegium sein Notizbuch angeschaut und bestätigt, dass nämlich tatsächlich der Tschekonitsch hätte die Dreiviertelvier bekommen sollen, und nicht ich. War eben ein Versehen. Aber das kann man jetzt nicht mehr ändern, weil er sonst Schwierigkeiten durch die Regierung bekommen würde. Er hat mich sehr gebeten, ich soll auf der Sache nicht herumreiten. Vorläufig wenigstens. Ich soll ihm den Gefallen tun und soll mich mit einer Drei einverstanden erklären. Zum Ende des Jahres macht er eine Eins daraus. Die Eins hat er auch schon in meiner Geburtsurkunde eingetragen – mit der Unterschrift des Direktors.

Außerdem muss ich dir sagen, der Algebralehrer Fröhlich mag mich nicht. Dafür kann ich natürlich nichts. Bei der letzten Arbeit sollten wir die Gleichung mit einer unbestimmten Unbekannten lösen. Als er mich zur Tafel zitiert hat, da habe ich gesagt, dass ich mit Lambda multiplizieren werde, dannfällt die zweite Gleichung heraus. Aber leider ist sie nicht herausgefallen, weil ich hätte sie mit X multiplizieren müssen. Der Fröhlich hat es nicht einmal gemerkt. Aber ich hab’s gemerkt und es ihm auch gesagt. Und als er es gesehen hat, dass er sich geirrt hat, da hat er sich geschämt. Dann hat er gesagt, ich soll mich wieder setzen und seitdem hasst er mich. Nur weil ich in Algebra besser bin als er. Deshalb hat er mich nicht mehr drangenommen, und so habe ich die Note nicht verbessern können. Dabei steht es auch in der ungarischen Verfassung, dass die Jungs bis Januar noch einmal zu prüfen sind. Sonst stimmen die Zensuren nicht. Und der Steinmann, der Klassenbeste hat auch gesagt, dass man den Fröhlich anzeigen kann. Aber das habe ich dann doch nicht gewollt. Er hasst mich sowieso schon, obwohl ich bei der letzten Arbeit genau dasselbe herausbekommen habe wie der Steinmann. In Betragen habe ich deshalb eine Zwei, weil nämlich: Wenn man dreimal eine Drei bekommen hat, dann kann man keine Eins bekommen. Dann geben sie einem ein Extrazeugnis nur aus Betragen. Das wird den Eltern mit der Post zugeschickt.

Das? Das ist keine Drei, sondern eine Zwei, nur dass unser Klassenlehrer die Zwei so ungeschickt schreibt. Er macht der Zwei noch einen Bauch nach unten rechts, wie bei der Drei. Komisch, nicht wahr? Als Unterschrift reicht der Nachname. Und also in nächster Zeit solltest du nicht in die Schule kommen. Das Tor hat man entfernt. Es wird umgebaut. Es gibt kein Tor. Man kann nicht hinein. Vieleicht in ein-zwei Wochen. Lieber später.

Übersetzung: Peter Meleghy