Ungarn bewährt sich im christlichen Europa

Nach dem Tod König Stephans (István) sorgte der oftmals blutige Kampf um die Thronfolge für düstere Zeiten in Ungarn. Unter Béla I. setzte schließlich ein wirtschaftlicher Stabilisierungsprozess ein, der auch die politischen Wogen allmählich glättete. Auch das Christentum etablierte sich trotz immer wieder aufflackernder Widerstände – das „Image“ des Landes innerhalb Europas blieb jedoch noch lange von der kriegerisch-heidnischen Vergangenheit der Ungarn beeinträchtigt.

Als Ladislaus (1040-1095), der Sohn Béla I. im Jahre 1077 den ungarischen Thron bestieg, war er mehr als 35 Jahre alt und blickte auf eine Vergangenheit zurück, die reich an Erfahrungen gewesen war: Mehrere Jahre verbrachte er in Polen, kämpfte beispielhaft gegen die in Ungarn einfallenden heidnischen Petschenegen und eroberte Kroatien – was allerdings zum Bruch mit Papst Urban II. und zum Bündnis mit dem deutschen Kaiser Heinrich IV. führte. Nach innen vertrat er stets eine ausgleichende Haltung im Machtkampf zwischen seinem Bruder Geisa und König Salomon.
Die Vorreiter „der rasenden Reporter“ des 11. und 12. Jahrhunderts waren die mit der Schreibkunst gesegneten Reisenden, die ihre Erinnerungen für die Nachwelt festhielten. Die Mehrzahl ging in den düsteren Jahren des Mittelalters verloren, nur ganz wenige sind erhalten geblieben. Mit Hilfe einiger Zitate sollen die politischen Zusammenhänge deutlich gemacht werden: Ungarns Image war zu dieser Zeit nicht zentral gesteuert und eine Selbst-Reflexion gab es kaum.
Cosmas, Dechant von Prag teilt seine Eindrücke 1116 wie folgt mit: „Das ungarische Volk hat eine gewaltige Kraft, ist sehr reich, seinen Kriegswaffen kann keiner widerstehen; es ist fähig gegen jeden König der Erde zu kämpfen.“
Ein arabischer Zeitzeuge oder eher ein militärischer Beobachter um 1150 aus Granada liefert sogar statistische Angaben: „…Die Ungarn sind mutig und groß an Zahl. Ihr Land wird Unkúríja genannt, sie haben 78 Städte. Jede Stadt hat Befestigungen, Bezirke, Dörfer, Berge, Wälder und viele Gärten. (…) Das Land ist viel gewaltiger als das Reich des Herrschers von Byzanz, seine Heerscharen sind unzählbar. Die Ausdehnung seines Reiches macht 20 Tagereisen aus.“
Das negative Bild des Landes in der europäisch-christlichen Außenwelt hängt sicherlich auch mit der Erinnerung an die früheren Raubzüge der noch heidnischen Ungarn zusammen. Die Könige und vor allem ihr kirchliches Umfeld waren sich offensichtlich darüber im Klaren, dass sie einiges zu leisten haben, um das Prestige des Täuferkönigs Stephan aufrechterhalten zu können.

Aber zurück zum König Ladislaus bzw. László, wie ihn die Ungarn nannten. Er war bereits zu seinen Lebzeiten eine legendäre Gestalt: auffällig muskulös, hochgewachsen, gutherzig und gerecht. Was letztere Qualität betrifft, übte er diese in Form von Gesetzen aus. Am Ende des 11. Jahrhunderts verwandelte sich allmählich die Besitzform – ähnlich wie in den damaligen westeuropäischen Ländern – von der der Stammesgemeinschaft hin zum feudalen Privateigentum. László gelang es – ohne einer fremden Macht lehnsherrliche Angebote zu gewähren – eine solide Staats- und Gesellschaftsordnung mit Hilfe von Gesetzen aufzubauen. Mit seinem Namen ist im Bereich der Innenpolitik u.a. der Schutz des Privateigentums, das Aufheben des Zölibats und die Heiligsprechung (1083) von König Stephan, dessen Sohn Emmerich und Bischof Gerhard (Gellért) verbunden.

Später wurde László selbst heilig gesprochen, was sicher ein Zeichen der Dankbarkeit für die Stärkung der Kirche war; nichtsdestoweniger betonen einige Historiker (unter ihnen György Száraz), dass das Christentum des Königs zu dieser Zeit alles andere als perfekt war: beide sind „in ihren Gewohnheiten und Denkweisen heidnisch; sicher ist die Erinnerung an die Greuel der Christianisierung noch frisch.“ Diese Konstellation führte mit dazu, dass beispielsweise trotz des Drucks aus Rom gegenüber der jüdischen Bevölkerung eine gewisse Toleranz herrschte. Zwar wurden etwa Mischehen zwischen Christen und Juden als „Konkubinismus“ verfemt, jedoch noch lange praktiziert.

Lászlós Nachfolger wurde Koloman (ung.: Kálmán/1074-1116).

Sein Name ist Behauptungen nach auf den lateinischen Ursprung „columba“ (dt.: Taube) zurückzuführen. Die aus der griechischen Taubenmythologie bekannten Charakterzüge, die Tauben als „kleine Leute“ und als „barmherzige, zahme Wesen“ apostrophiert, treffen auf König Koloman vollkommen zu: „In seinem Äußerlichen reichte er Ladislaus bis zur Schulter, er war behaart, buckelig, er lispelte und stotterte, war aber sehr gebildet und gutmütig“. Er lernte seit seiner Kindheit in Klosterschulen, und für die damalige Zeit war es eine Seltenheit, dass er lesen und schreiben konnte. Er umgab sich mit Büchern und Kodizes. Deswegen wurde er „Koloman, der Bücherfreund“ (ung.: Könyves Kálmán ) genannt.
Die Bevölkerung des Landes erwartete vom königlichen Machthaber Stabilität. Das bedeutete unter anderem, die Abhängigkeit vom mächtigen Deutschland zu lockern.
So schlug Koloman mehrere diplomatische Angebote von Kaiser Heinrich aus und wollte vor allem einen engen Kontakt zum Papsttum ausbauen, was seiner kirchlichen Erziehung auch entsprach.
Im Hof von Koloman blühte das geistige Leben. Der aus Deutschland stammende Würdenträger Bischof Hartwick soll vom König persönlich den Auftrag erhalten haben, die wahre Lebensgeschichte des Heiligen Stephan aufzuschreiben. Hartwick verlieh der Tatsache Nachdruck, dass König Stephan von Papst Silvester II. gekrönt wurde, auf seinem Sterbebett das Land dem Schutz der Heiligen Maria anvertraute und sie als Schutzpatronin der ungarischen Nation ernannte.
Zu Kolomans Verdiensten gehört u.a. seine eindeutige Ablehnung des Hexenkults.

In seinem Gesetz hieß es: „Über Hexen, die es in Wahrheit nicht gibt, soll es keinerlei Klage geben.“ Dies rettete viele Frauen und Männer vor dem Feuertod. Koloman regierte im Geist der Stephanschen Tradition, reiste viel durch das Land und achtete auf die kleinsten Einzelheiten. Die Kontinuität der christlichen Religion sah er in der Tätigkeit des Klerus: „unwissende Priester sollen nicht geweiht werden, und die schon geweiht sind, sollen lernen oder abgesetzt werden.
Niemand soll etwas von den heidnischen Bräuchen beibehalten; wer so etwas tut, der soll, wenn er zu den Älteren gehört, vierzig Tage streng büßen, gehört er zu den Jüngeren, soll er sieben Tage mit Schlägen büßen.“
Mit solchen Sätzen und Gesetzen geriet Koloman – wie sonst nur wenig ungarische Könige – in die aufklärerische Tradition.

Andreas II., der Jerusalemer König

Nach der Etablierung des Christentums, wirtschaftlichem Aufschwung sowie einer Blütezeit des geistigen Lebens unter König Koloman, dem „Bücherfreund“, geriet Ungarn im 12. Jahrhundert unter den Einfluss der Kreuzzüge. Die im Titel aufgeführte Bezeichnung ist keine Schmeichelei, sondern spielt darauf an, dass König Andreas (ung.: András, Endre/1177-1235) nach Meinung seiner Landsleute zu viel Zeit im Ausland und auf Kreuzzügen verbrachte – und dadurch das Herrschen zu Hause vernachlässigte.
Das 12. Jahrhundert in Europa war auch von Grenzverschiebungen gekennzeichnet. Aufgrund der ständigen Machtkämpfe, der ideologisch postulierten, dennoch auf Eroberung ausgerichteten Kreuzzüge und nicht zuletzt in Folge dynastischer Ansprüche war es kaum möglich, Grenzposten langfristig als festen Bestandteil eines Hoheitsgebietes zu betrachten. Das Herzogtum Meranien etwa gehörte Bayern an, erhielt im Jahre 1180 jedoch einen eigenständigen Status zwischen den Dynastien Staufern und Welfern und wurde dadurch zu einer Art Pufferstaat. Aus diesem abgetrennten Herzogtum Andechs-Meranien stammte Gertrud (geb. 1185), keine bodenständige bayerische Fürstentochter, sondern eine Adlige, die mit bayerischen Traditionen zutiefst vertraut war. Ihr Vater, Herzog Berthold IV., der großes Ansehen genoß, verheiratete drei seiner vier Töchter außerhalb der Landesgrenzen.Tochter Gertrud fand ihr Glück an der Seite des ungarischen Andreas II. Die Hochzeit soll bereits vor 1203 stattgefunden haben, als Andreas noch als Königskandidat galt. Laut der Geschichts-Chroniken zog Gertrud jedoch erst zwei Jahre später nach Ungarn – als nichts mehr der langersehnten Krönungszeremonie im Wege stand.Gertrud, eine „tugendsame und energische Frau, die ihr weibliches Denken durch eine männlich gesinnte Seele ausglich“ (aus der Bilderchronik) kam jedoch nicht allein nach Ungarn: Ihre Landsleute waren selbstbewusster und machthungriger als jene am Hof der ebenfalls bayerischen Königin Gisela und mischten sich schnell in sämtliche inländische Angelegenheiten ein. Trotz massiven Widerstandes des Papstes Innozenz III. wurde Gertruds Bruder Berthold Erzbischof von Kalocsa, später Ban von Dalmatien und Kroatien und Woiwode von Siebenbürgen.

Die „Sorgenkinder“ der meranischen Herzogsfamilie, Eckhart und Heinrich, die in den Verdacht gerieten, an dem Mordanschlag auf König Philipp beteiligt gewesen zu sein, fanden ebenfalls in Ungarn Asyl. Als Trostpflaster für ihr trauriges Schicksal erhielten beide jeweils noch Landbesitz als Geschenk. Die Präsenz der Deutschen wurde besonders auffallend als König Andreas im Jahre 1211 einen deutschen Ritterorden ins Land rief und deren Mitglieder in einer fast unbewohnten südöstlichen Ecke Siebenbürgens ansiedelte. In einer Urkunde von König Andreas aus 1208 lesen wir: „Die Freigiebigkeit der königlichen Majestät wird durch nichts beschränkt, und für den Herrscher ist das größte Maß der Schenkung, dass sie kein Maß hat. Dennoch muss er besonders sorgsam mit den verdienstvollen Männern umgehen, damit keiner enttäuscht wird in der Belohnung seiner Bemühungen gerade durch jenen, der die Schenkungen seiner Freigiebigkeit auch auf Ausländer erweitert.“ Die „deutschgesinnte“ Politik des Königspaares, die leichtsinnige Verschwendung und Vergeudung ungarischer Waren zum Nachteil der Einheimischen gaben reichlich Anlass zu Unzufriedenheit und führten zur legendären Verschwörung von Ban Bánk, die der Dichter József Katona im 19. Jarhundert in seinem Nationaldrama verewigte. Bánk, der zweite Mann im Staat musste nicht nur um sein Amt, sondern auch um die Tugend seiner Ehefrau fürchten: Im Königshof wurde verbreitet, dass Gertrud ihr einen deutschen Mann ausgesucht habe, um die beiden miteinander zu verkuppeln.

In Katonas Trauerspiel gibt Bánks Frau Melinda dem Verführer unter der Wirkung eines Aufputsch-Elixirs nach. Die Annahme, dass der Begünstigte tatsächlich Gertuds Bruder gewesen sein soll, scheitert an der Tatsache, dass Báns Frau Melinda zu jener Zeit bereits im Alter einer Matrone war, wohingegen Berthold noch seine besten Jahren genoss.
Bei Katona beschweren sich sowohl Edelmänner als auch Bauern über die vom ungarischen König geduldete deutsche Dominanz.

So der Ban Petur:

„Wir lieben unsern König.- Einen Mann
Jedoch. Andreas soll den Thron einnehmen,
nicht das meransche Weib“…..
(…) Den armen Ungarn nahm sie weg sein Brot
Und mästete damit meransche Söldner
Der Väter Burgen ließ sie schleifen oder
Besetzen von meranschen Waffenvolk.
Die Ämter nahm sie uns, und zum Ersatz
Erlaubte sie, dass wir uns Bane nannten.
Ihr Bruder Eckbert hatte kaum vom Blut
Des Königs Philipp sich die Hand gesäubert,
Sofort bekam er unsre Zips zum Lehn.
Und Berchtold ward, eh er ordentlich
Sich schneuzen konnte, Erzbischof und Ban,
Woiwod und Oberster Gespan der Batschka.“
Der Leibeigene Tiborcz sieht sozusagen nicht den protokollarischen, sondern eher den sozialen Aspekt des Problems:
„Zum Schinden braucht man Haut, und die hat uns
Schon das meransche Pack vom Leib gerissen.
Die andren schneiden nur noch Fleisch vom Knochen.
Wer unters Messer kommt, der schreit vor Schmerz.
Wer schert sich drum? Für sie ist eins nur wichtig
Der Nutzen. Und die hohe Frau –
(…) Da mag kein Storch mehr nisten, denn wir fressen
Den Abfall selber. Unsre schönsten Fluren,
Die sind jetzt Jagdrevier. Betreten ist
Uns streng verboten. Aber wenn einmal
Der siechen Frau, dem blatterkranken Kind
Zulieb ein Täubchen wir erschlagen, ist
Der Vogt gleich da und knüpft uns an den Schandpfahl.“
(Aus dem Ungarischen von Géza Engl)

Katonas Stück war natürlich auf die nationale Romantik des beginnenden 19. Jahrhunderts ausgerichtet – trotzdem zeigt er, wie tief der Aufruhr im Mittelalter die Gemüter bewegt hatte. So kam es am 28. September 1213 zu einem der spektakulärsten Mordanschläge der ungarischen Geschichte. König Andreas befand sich mit seinem Heer auf einem Feldzug gegen Galizien. Die Königin Gertrud weilte samt Hof im Pilis-Gebirge. Über die Art und Weise ihrer Ermordung gibt es mehrere Variationen. Ein Bericht erzählt, dass sie in ihrem Schlafzimmer erdrosselt und aufgehängt wurde. Eine nüchternere Annahme scheint jedoch authentischer zu sein: Sie fiel in ihrem Zelt zusammen mit anderen Deutschen einem Attentat zum Opfer. Die Bilderchronik des Márk von Kalt fügt einen Kommentar zu ihrem Tod an: „Wegen ihrer Ermordung weinte ganz Pannonien, und es folgte ein schreckliches und entsetzliches Blutvergießen im ganzen Geschlecht des Banus Bank“. Trotz der zahlreichen Hinrichtungen blieb Bánk am Leben, er verlor lediglich seine Funktion als wichtiger Würdenträger. König Andreas – wenn man dem Chronisten seines Sohnes Glauben schenken kann – war durchaus mit epikureischen Eigenschaften ausgestattet. Er hatte Spaß am Essen und Trinken, war abenteuerlustig und führte mehrere Feldzüge in den Osten.Lange blieb der verwitwete Andreas, dem Gertrud fünf Waisen hinterließ, nicht allein. Er heiratete nochmals, und auch diesmal war seine Auserwählte wieder eine Ausländerin: Jolante aus Konstantinopel. Andreas, der zu diesem Zeitpunkt kaum über vierzig gewesen war, strebte, machtbesessen wie er war, nach dem Thron des Lateinischen Kaiserreiches. Der Plan scheiterte jedoch und der Papst krönte im Jahre 1217 Andreas‘ Schwiegervater, Peter, zum Kaiser.Kurz danach fand der sogenannte fünfte Kreuzzug ins Heilige Land unter der Führung des ungarischen Königs statt. Während dieser drei Monate erwarb er antike Reliquien. Die Bilderchronik benennt unter diesen den Schädel des heiligen Stephans, „einer von jenen sechs Eimern, in denen Christus das Wasser in Wein verwandelte.“ Auf seinem Heimweg sorgte er durch die in Aussicht gestellten lukrativen Eheangebote seiner Nachkommen für die Erweiterung der ungarischen Landesgrenze: In Armenien, Nikäa und Bulgarien wurden seine Söhne und Töchter zu Heiratskandidaten avanciert.

Statt Jubel erwartete ihn jedoch zuhause eine Palastrevolution. Dadurch sah er sich gezwungen, die sogenannte Goldene Bulle (1222) zu unterschreiben, eine Art Magna Charta (England/1215), in welcher die Grundrechte aller freien Landbewohner festgelegt wurden. Das wichtigste Element dieser Verfassung war die sogenannte Widerstandsklausel, die das Recht auf Rebellion gegen die königliche Willkür ermöglichte. Die in Siebenbürgen verstreut lebenden Sachsen erhielten in jenen Jahren eine eigene Verwaltung.
Trotz seiner rechtmäßig organisierten Gesellschaftsordnung musste der König an mehreren Fronten gleichzeitig für das innere Gleichgewicht des Landes sorgen. Den von ihm eingeladenen deutschen Ritterorden vertrieb er aus dem Land, woraufhin das Papsttum sich gegen ihn wandte. Der Preis war eine hohe Kirchenstrafe, deren Mittel er von inländischen Steuerzahlern einkassierte. Trotz alledem blieb er stark genug, um für dreißig Jahre, bis zu seinem Tod am 21. September 1235, am Königsthron festzuhalten.

Die ungarische Elisabeth von Thüringen (Szent Erzsébet)

Aus der Ehe des machtorientierten Herrscherpaares Andrea und Gertrud ging Elisabeth hervor, deren kurzes Leben großen Einfluss auf das gesellschaftliche Bewusstsein, insbesondere die christliche Nächstenliebe haben sollte. Aus einer strategischen Eheschließung resultierte nicht nur eine glückliche Verbindung zwischen zwei Menschen, sondern ebenso eine für jene Zeit ungewöhnliche „Selbstwerdung“einer Frau gegen die Konventionen des eigenen Standes.
“Und sie sandte dem Landgrafen große goldene und silberne Gefäße von mancherlei Form, die kunstvoll geschmiedet und sehr wertvoll waren, ferner edle Kleinodien, kostbare Kleider und eine silberne Wanne, in der die Jungfrau Elisabeth gebadet werden sollte, weiterhin Bettwäsche und Decken, alles aus Seide; Purpurgewänder, kostbare Tücher und mancherlei Hausrat, wie es zur Hofhaltung gehört: ein großer Schatz! Und überdies an Geld tausend Mark.“

Der Abschied war traurig, die mitgegebenen Geschenke waren großzügig. Man schrieb das Jahr 1207 als Elisabeth, die vierjährige Tochter von Gertrud und Andreas II. ihr Heimatland verließ. In Begleitung von thüringischen Grafen, Fürsten, Boten und ungarischen Soldaten in dreizehn Wagen legte das Gefolge an einem Tag etwa 30 bis 35 Kilometer zurück. Nach einigen Wochen wurde Elisabeth in Wartburg, am Hof des Landgrafen Hermann herzlich empfangen, wo sie unmittelbar danach mit dessen Sohn verlobt wurde. Diese Ehe stand unmittelbar im Interesse des ungarischen Königspaares: dynastische Beziehungen zwischen Thüringen und den Andechs-Meranen förderten ihr Bündnis gegen den Stauferkönig Philipp von Schwaben.
Aus der Chronik des Priesters Dietrich von Apolda, der nach Elisabeths Tod ihr Leben dokumentierte, kennen wir zahlreiche Einzelheiten, die ihr breites Ansehen bekunden.
Elisabeth hatte eine behütete Kindheit. Dem ungarischen Mädchen wurden zwar von Anfang an höfliche Sitten beigebracht, aber durch ihr ungewöhnliches Temperament fiel es ihr offensichtlich schwer, die Verhaltensregeln des Adels zu akzeptieren. Allmählich zog sie sich von den gemeinsamen Spielen mit anderen Kindern, später vom pompösen Leben zurück und widmete sich ausschließlich der Religionskunde und den Gebeten.

Im Jahre 1221 feierte ganz Thüringen Hochzeit: die Braut Elisabeth war vierzehn, der Bräutigam Ludwig zwanzig Jahre alt. Zu dieser Zeit war bereits bekannt, dass die junge ungarische Frau Wunder bewirken konnte.
Mit ihrem Namen war in erster Linie die Rosen-Legende verbunden. Danach sollte sie in ihrer Schürze Brot für die Armen versteckt haben; ihre zukünftige Schwiegermutter wurde jedoch darauf aufmerksam und fragte sie, was sie in ihrer Tasche verstecke. Die erschrockene Elisabeth gab in ihrer Verlegenheit vor, Rosen gepflückt zu haben.
Das Wunder geschah, als plötzlich tatsächlich frischer Rosenduft ihrer Schürze entströmte. Selbstverständlich müssen wir vieles in diesem Bild der Wundertäterin Elisabeth (Erzsébet) relativieren, genauer gesagt, es in seinem historischen Zusammenhang betrachten.
Der Elisabeth-Kult enthielt jedoch Elemente, die als Erbe und Tradition in die heutige europäische Kultur integriert blieben.
Das Ehepaar und die Spielkameraden von einst redeten sich – nach den Chroniken – als „liebste Schwester“und „liebster Bruder“ an. Elisabeth wurde eine liebende Ehefrau und Mutter von zwei Töchtern und einem Sohn.
Über Ludwig liefert der Chronist eine aus dem Leben gerissene transparente Beschreibung, die seine Emphase widerspiegelt: „Der Fürst hielt an seinem Hofe einen Löwen. Einmal entwich das Tier aus seinem Gewahrsam und rannte grimmig auf seinen Herrn zu, als dieser frühmorgens mit einem Hemd bekleidet das Bett verließ. Da hob der Fürst gegen das Tier seine Faust hoch und vermochte es mannhaft zu bändigen, gleichwie mit körperlicher Gewalt. Der Löwe wurde sofort wieder zahm, legte sich seinem Herrn zu Füßen nieder und begann mit dem Schwanz zu wedeln, um den Zorn des Fürsten zu besänftigen. Die männliche Entschlossenheit des Fürsten entsprang mehr aus seinem starken Glauben als aus ritterlicher Kühnheit. Sein Sinn blieb frei von Trug, denn seine Rede war ja, ja und nein, nein. Streng und gerecht waren seine Worte, so dass alle Leute dem, was er sagte, Glauben schenkten, wie wenn er es mit einem Eid bekräftigt hätte.“
Von der glücklichen Ehe zeugen viele Berichte. Aus ihnen geht eindeutig hervor, dass Ludwig die Religiösität seiner Frau durchaus akzeptierte, sich aber viele Sorgen um ihre körperliche Gesundheit machte, da Elisabeth meist ihre nächtliche Ruhe auch zum Beten benutzte.

Außer der Rosenlegende liefert das berühmt gewordene Mantelwunder Beweismaterial dafür, dass Elisabeth mit der biblischen Welt in einer besonderen Symbiose stand. Landgraf Ludwig hat zu einem Festmahl Gäste empfangen. Elisabeth konnte daran nicht teilnehmen, da sie all ihre Kleider den Armen geschenkt hatte. Besorgt fand sie Ludwig in der Kapelle und bat sie, auf ausdrückliche Bitte der geladenen Gäste, im Festsaal zu erscheinen. Auf ihr inbrünstiges Gebet hin erschien plötzlich ein Engel und brachte ihr ein prachtvolles Gewand sowie eine Krone und die adeligen Gäste huldigten lange der wunderschönen Landgräfin.

Ihre Lebensumstände änderten sich bald, da ihr Ehemann Ludwig ein treuer Mitstreiter an der Seite des Deutschen Kaisers Friedrich II. wurde und mit ihm zu einer Pilgerfahrt nach Jerusalem zog. Von dieser Reise kehrte er nicht mehr zurück. Elisabeth, die inzwischen die Herrin des Hofes geworden war, wurde von ihrer Schwiegermutter massiver Kritik ausgesetzt, weil sie ihr gesamtes Vermögen den Armen und Bedürftigen schenkte.

Einige Quellen berichten darüber, dass Elisabeths ungarische Verwandtschaft von ihrem auffälligen Verhalten und ihrer übertriebenen Hingabe den Bedürftigen gegenüber erfuhr und daher königliche Boten nach Thüringen sandte. Beim Anblicken ihrer armseligen Bekleidung soll ein ungarischer Freund gesagt haben: „Schwester, ich bedaure es sehr, dass du vor diesen Edelleuten kein vornehmes Kleid trägst und dass mir auch die Zeit fehlt, dir eines zu besorgen.“

Daraufhin antwortete Elisabeth: „Allerliebster Bruder, du solltest nicht so sehr darauf achten, noch dich darum sorgen, denn ich bin entschlossen, niemals durch weltliche Kleidung Ansehen zu erlangen.“ Unermüdlich spann sie Wolle, nähte Kleider und sorgte für die Kranken und Wöchnerinnen.

Nach den vielen Auseinandersetzungen mit den deutschen Schwiegereltern fühlte sie sich gezwungen, die Burg zu verlassen. Ihre karitative Tätigkeit setze sie in Eisenach und Marburg fort, mit ihren Dienerinnen sowie mit dem Kreuzzugsprediger und Ketzerverfolger Konrad an ihrer Seite. In Marburg gründete sie ein Spital. Die im Jahre 1224 in Thüringen auftretenden Franziskaner übten einen besonderen Einfluss auf sie aus. Labor, Largitio und Comassio (Arbeit, Freigiebigkeit und Mitleid) dominierten ihr Leben. Sie übenahm jede Art von Arbeit; sie wusch die Wunden der Kranken und die Füße der Pilger. Ihr karitatives Wirken, die Hinwendung zu den Armen und die Teilnahme an ihren Leiden machten sie zu einer lebenden Heiligen.

Sie wohnte in einem kleinen Haus aus Holz und Lehm und ernährte sich armselig. Wahrscheinlich pflegte sie keine aktiven Kontakte zu Ungarn, aber die Nachricht von der Ermordung ihrer Mutter im Jahre 1213 soll sie erreicht haben. Dietrich von Apolda hielt einen diesbezüglichen Traum von ihr fest. Laut seiner Überlieferung soll Gertrud zu ihr gesagt haben: „Meine einzige Tochter, bitte Gott um meiner Seelenpein willen, die ich noch leiden muss, weil ich so dahingelebt habe.“ Elisabeth, die kaum von den Machenschaften ihrer Mutter gewusst haben konnte „betete aus innerstem Herzen“ und segnete damit im Traum die um Gnade bittende ungarische Königin.
Ihre aufopferungsvolle Lebensweise machte sie bald krank. Sie starb im Alter von 24 Jahren am 19. November 1231. Auf ihrem Sterbebett soll sie ein ungarisches Lied gesungen haben.
Die traurige Nachricht verbreitete sich schnell in Europa.

Laut den Chroniken erschienen in der Kapelle Massen von Menschen, die Reliquien ihres Körpers (Haare, Fingernägel, Ohrläppchen) mitnehmen wollten. Sie wurde neben ihrem Ehemann Ludwig in Marburg bestattet. An der Zeremonie nahmen ihre Bewunderer und sogar Kaiser Friedrich II. teil.
Dietrich von Apolda berichtet über diesen Tag wie folgt: „Sie alle (der Trauerzug) begingen die Translation mit großer Feierlichkeit und Würde. Schließlich hatte sich aus vielen Gegenden und fernen Ländern eine Volksmenge versammelt, wie man sie in Deutschland so groß nie wieder gesehen hat. Und die Opfergaben waren so reich, dass ihr Wert sich gar nicht recht schätzen ließ”. Dazu muss man wissen, dass ihr liebstes Stück ein von Franz von Assisi geschicktes Gewand war. Sie hat den Gründer des Franzikaner Ordens maßlos verehrt. Und als diese unglaubliche Anzahl der Vögel (unter denen auch viele Singvögel) auftauchten, war es November.

Kurz danach strömten Tausende von Pilgern dorthin, die von der toten Elisabeth Wunder erwarteten. Taube Menschen konnten plötzlich hören, Kranke wurden gesund, Verkrüppelte bekamen einen gesunden Körper. Bereits vier Jahre später wurde sie heilig gesprochen. Der erste Kanonisierungantrag stammte von ihrem Beichtvater Konrad. Er enthält einen Bericht über 37 Wunderheilungen. Der Bischof von Hildesheim, die Äbte von Georgenthal und Herford bildeten eine Kommission und begannen mit der Sammlung von Zeitzeugen, die über die Verstorbene aussagen konnten. Dieses Protokoll wurde schließlich an Papst Gregor IX. nach Perugia gesandt. Die von ihm ausgestellte Bulle der Heiligsprechung lautete: „Liebe Elisabeth, von Gottes Gnade überschüttet, die die Armen nährend das Brot der Engel verdient hat.“ Eine Anspielung auf die in ihrer Schürze versteckten Brotstücke.

Auf die Verehrung der Elisabeth wurde man in Ungarn von den aus Deutschland gekommenen Franziskanern aufmerksam. Sie gründeten eine Kirche in Raab (Győr) und ein Hospital in Buda. Der Elisabeth–Kult schlug sich vielerorts in Europa nieder und die damit verbundene karitative Tätigkeit fand auch Jahrhunderte später begeisterte Anhänger.
Über achthundert Jahre mussten vergehen, bis Papst Johannes Paul II., als erstes Oberhaupt der Katholischen Kirche für die Sünden und Fehler der Vergangenheit ein Schuldbekenntnis ablegte. Ein Teil von „Mea Culpa“ geht auf die mittelalterlichen katholischen Traditionen zurück: den Kreuzzügen, der Ketzerverfolgung und den Wundertätern fielen Millionen von Gläubigen zum Opfer fielen. Der thüringische Landgraf Ludwig als Kreuzritter und die ungarische Königstochter Elisabeth mit ihrem charismatischen Wesen sind nunmehr „offiziell“ am Prozess der kirchlichen Vergangenheitsbewältigung beteiligt.

ein Film über ihr Leben (in ungarisch)