Sisi, der Schutzengel der Ungarn

Achtzehn Jahre waren seit der Niederlage der Revolution 1848/49 vergangen, als Ungarn wieder ein gekröntes Königspaar erhielt.
Im sogenannten „Ausgleich” von 1867 versöhnte sich Ungarn mit der Dynastie und erhielt eine eigene Regierung – wie es die Märzrevolutionäre angestrebt hatten. Unter der Herrschaft von König Franz Joseph und Königin Elisabeth wurden die bürgerlichen Freiheiten jenseits der Leitha wiederhergestellt.

Der junge Kaiser Franz Joseph und sein Ministerpräsident Fürst Felix Schwarzenberg degradierten Ungarn 1849 zu einer eroberten Provinz, was der Beraubung der gesamten Selbständigkeit gleichkam. Ungarns Komitate wurden in Bezirke verwandelt, Siebenbürgen wurde abgetrennt, die ungarische Sprache als Amtssprache durch Deutsch ersetzt; von den Schulen bis zu den Straßenschildern verschwand alles was bis dahin „Ungarisch” gewesen war.

Der Wiener Hof hatte die ungarische Verfassung annuliert, die ungarischen hohen Beamten wurden durch österreichische oder tschechische ersetzt und das System setzte quer durch Ungarn Tausende von Polizeispitzeln ein. Hinrichtungen und Verhaftungen waren an der Tagesordnung. Die neu eingerichtete Festung (Zitadelle) auf dem Gellértberg sollte die öffentliche Sicherheit von Buda gewährleisten.

Ungarns schwierige Lage beschäftigte viele, die mit dem Schicksal des Landes vor der Revolution etwas zu tun gehabt hatten. Die im englischen Exil weilende Frau des früheren Kanzlers, Fürst Metternich, kommentiert die Lage in ihrem Tagebuch beinahe nostalgisch: „In Ungarn wird mit Gewalt verdeutscht, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Mein Gott, wohin sind die befähigten Staatsmänner in diesem Reich verschwunden?” Allerdings verschweigt die Gattin in ihrer Güte die Rolle ihres Mannes, was das Schaffen der Voraussetzungen der niedergeschlagenen Revolution betrifft.

Ein Personalwechsel hatte in jeder Hinsicht stattgefunden: Für die Maßnahmen des ungarischen Vergeltungsprogrammes wurde Franz Josephs verlängerter Arm, Feldzeugmeister Julius von Haynau (nach seinen Greueltatan bei der Bekämpfung des italienischen Aufstandes „Hyäne von Brescia genannt”) und später der Administrator und Innenminister Alexander von Bach verantwortlich gemacht. Beide waren von Wut und Rachsucht besessen. Diese Eigenschaften alleine konnten die Unterdrückung jedoch nicht langfristig aufrechterhalten; die neuen außenpolitischen Zielsetzungen der Wiener Zentrale schlugen fehl und kosteten Unmengen von Geld und Kraft. Im Jahre 1859 erlitt die kaiserliche Armee eine vernichtende Niederlage bei Solferino in Italien und 1866 gegen das preußische Heer bei Königgrätz in Böhmen. Gleichzeitig wurden die progressiven Stimmen in Ungarn wieder laut. Die Hoheiten in Wien mußten zähneknirschend einsehen, dass eine Aussöhnung mit dem wichtigsten Bestandteil der Monarchie früher oder später unvermeidlich sein würde.

Eine junge Diplomatin

Am 16. August 1853 wurde Kaiser Franz Joseph die junge Elisabeth aus Bayern vorgestellt. Die aus einer Wittelsbacher Familie stammende Herzogtochter galt als Genießerin und hatte wenig für das Protokoll übrig. Sie war eine leidenschaftliche Reiterin und Schwimmerin. Zeitgenössische Quellen behaupten, dass sich Franz Joseph auf den ersten Blick in sie verliebte.

Der Bekanntmachung der Verlobung folgte bald danach die Trauung im Wiener Stephansdom. Elisabeth wurde mit einer großzügigen Mitgift ausgestattet: 50.000 Gulden in bar und Schmuck, sowie Kleider im Wert von 70.000 Gulden. Dazu kam noch eine zusätzliche Aufmerksamkeit ihres Mannes in Höhe von 100.000 Gulden. Im Gegenzug wurde sie jedoch dazu aufgefordert, im Heiratsvertrag eine Klausel zu unterzeichnen, nach der ihre bayerische Verwandtschaft auf das Erbe keinen Anspruch hatte – was die Kaiserin, der Überlieferung nach, zögernd und weinend tat. István Graf von Széchenyi, der Reformator von 1848, kommentierte das Ereignis folgendermaßen:
„Einen Engel hatte sich der Kaiser zur Frau genommen, und groß und klein hoffte, jetzt wird sein Herz Mitleid haben, jetzt wird er vielleicht das unter vielen Qualen erwartete Wort aussprechen: Amnestie – doch er schwieg.” Er verkündete zwar eine Amnestie, die allerdings die politischen Gefangenen aus Ungarn und der Lombardei nicht betraf.

Elisabeth musste inzwischen mit ihrer Ausbildung als Kaiserin beginnen. Sie lernte französisch, italienisch, tschechisch (die Schwiegermutter Sophia hatte ihren Sitz in Prag) und Graf János von Mailáth, ein ungarischer Aristokrat sollte ihr die Geschichte Österreichs beibringen. Statt Kenntnisse über die Dynastie der Habsburger zu erwerben, zeigte sie eher für die Situation in Ungarn ein erhöhtes Interesse. Nachdem sie aus dem Königreich Lombardien-Venetien (Teil der Habsburg- Monarchie bis 1860) zurückgekehrt war, wo sie während ihres einjährigen Aufenthalts mehreren Morddrohungen ausgesetzt war, reiste sie zum ersten Mal im Frühjahr 1857 nach Ungarn. Danach musste sie das Land wegen ihrer Lungenerkrankung mehrere Jahre meiden; die Ärzte hielten die Meeresluft in Madeira und auf Korfu für gesünder als den, unter der absolutistischen Herrschaft ihres Ehemannes entstandenen Wind der Unzufriedenheit in Ungarn.

Die auswärtigen Kuren verfehlten ihre Wirkung nicht, und nach Wien heimgekehrt, machte sich Elisabeth gleich an die Arbeit. Von Ida Ferenczy – einer aus dem niederen Adel stammenden patriotisch eingestellten Ungarin – lernte sie Ungarisch. Sie machte Elisabeth mit dem Politiker Ferenc Deák und dem aus der Emigration zurückgekehrten Graf Andrássy bekannt. Die beiden gehörten der sogenannten Ausgleichspartei an. Kaiserin Elisabeth, die von Graf Andrassys Charme zutiefst beeindruckt war, stand mit großer Begeisterung hinter der ungarischen Sache und nahm die Rolle der Vermittlerin ein. So schrieb sie ihrem Mann in die österreichische Hauptstadt: „Andrássy sprach seine Ansichten klar und deutlich aus. Ich habe sie verstanden und die Überzeugung gewonnen, dass, wenn Du Ihm vertraust, aber ganz, so können wir nicht nur Ungarn allein, sondern die ganze Monarchie noch retten. Du musst jedenfalls selbst mit ihm reden.”

Verhandelt wurde im Jahre 1866 in Schönbrunn, wo Elisabeth in ungarischer Nationaltracht und fließend ungarisch sprechend ihre Gäste empfing. Die ungarische Öffentlichkeit wurde über diese Einzelheiten gut informiert und schätzte Elisabeths Rolle. Auch war man froh, die Herrscherin in der Nähe zu wissen: Sie hielt sich oft im Schloss von Gödöllõ auf und wurde als in Ungarn ansässig betrachtet. Als Franz Josephs Spielraum nach seiner Niederlage in Böhmen (1866) zunehmend enger wurde, musste er tatsächlich alles daran setzen, die „Monarchie zu retten”. Letztendlich ging es um 600.000 Quadratkilometer Fläche und 11 Nationalitäten mit insgesamt 35 Millionen Menschen.

Schulbücher zur Wende

Im Februar 1867 hatte der Ausgleich politische Konturen angenommen: Beide Reichshälften erhielten ihr eigenes Parlament mit eigener Regierung; die gemeinsamen Angelegenheiten, die sogenannten Quoten – also die Außenpolitik, das Kriegswesen und das Finanzwesen – wurden von drei Ministern gemeinsam verwaltet. Zum Ministerpräsidenten wurde Graf Andrássy ernannt. Seine erste große Aufgabe war die Organisation der Krönung in der Matthiaskirche am 8. Juni 1867. Franz Josephs postrevolutionäre Gewaltmaßnahmen waren dadurch mit einem Schlag aufgehoben: Gemäß der Krönungstradition hatte man in Pest einen Hügel aus der Erde sämtlicher Komitate Ungarns errichtet. Der König ritt auf den Hügel und zog sein Schwert in alle Himmelsrichtungen, als Symbol seiner Verantwortung.

Das politische Klima lockerte sich danach allmählich, und eine spontane Reaktion auf die Aufhebung der Zensur war zunächst ein Ausbruch der verdrängten Emotionen. Ein Blick in die Schulbücher von damals genügt; die verspätete öffentliche Trauer um die Niederlage der Revolution schien keine Grenzen zu haben.

So resümiert beispielsweise ein Schulbuchautor aus Kolozsvár die Jahre vor dem Ausgleich: „Die Kinder der zum Boden gestürzten Heimat wurden vom rachsüchtigen Gegner festgenommen, in den Kerker geworfen und die hervorragendsten von ihnen ihres Lebens beraubt.(…)” Andere Autoren formulierten es noch drastischer: „Das Land wurde zu einem Jammertal. (…) Alle hatten jemanden zu beweinen. Und wenn sie es nicht hatten, so beweinten sie die verlorene Freiheit, den als hoffnungslos erscheinenden Zustand des Landes.”

Gleichzeitig spürten viele Meinungsmacher bereits damals die Notwendigkeit, den historischen Pathos angesichts der aktuellen Situation zu relativieren. Schließlich wurde das Land vom selben Kaiser und König regiert, der seinerzeit Generäle hinrichten ließ und den Revolutionsführer Lajos Kossuth zu lebenslangem Exil verdammt hatte. Darum brauchte man Begründungen für zwei Jahrzehnte Absolutismus wie diese: „Der noch unerfahrene junge Herrscher Franz Joseph I. war von Ungarns Gegnern umgeben, die ihn durch ihre bösen Ratschläge dazu brachten, Ungarn wie einen Feind zu behandeln.” Und schließlich, eng am politischen Kitsch: „Unter seinen vielen, vielen Millionen Untertanen gibt es keinen einzigen, der nicht seinen Namen mit Segen im Mund führen würde. Seit Matthias dem „Gerechten” hatte der Ungar noch nie einen derart populären Herrscher.”

Sichtbare Beweise

Die Veranstaltungen des ersten Milleniums, als das Land im Jahre 1896 sein 1000 jähriges Bestehen feierte, waren nicht so umstritten, wie 1000 Jahre später. Am Silvesterabend läuteten landesweit die Glocken der Kirchen um die Leute in ein „Millenniumsfieber” zu versetzen. Das einjährige Programm war im Vorfeld schon abgesegnet und die Finanzmittel bereitgestellt worden: Im Mai sollte die Ausstellung im Stadtwäldchen (Városliget) eröffnet werden. Die Errungenschaften in der vereinigten Hauptstadt (seit 1873 Budapest) waren spektakulär: Gasbeleuchtung auf den Straßen, Wasserleitungen, Markthallen, die Franz-Joseph-Brücke (heute Freiheitsbrücke/ Szabadsághíd), die Untergrundbahn, das Opernhaus usw. Am Gedenktag in der Budaer Burg – wo die Mitglieder der beiden Häuser des Parlaments dem anwesenden Königspaar ihre Treue schworen – war Königin Elisabeth nur physisch anwesend. Der Verlust ihrer beiden Kinder (Kronprinz Rudolf und Prinzessin Sophie) hatte sie seelisch derart gebrochen, dass sie die minutenlangen „Éljen”-Rufe kaum wahrnahm.

Der ungarische Schriftsteller Kálmán Mikszáth erinnerte sich an die Szene: (…) „Und das Éljen erschallt noch viel lauter (…) Und aus diesen Augen, die einst so lachen konnten, dass sie ein ganz trauriges Land aufheiterten, quoll eine Träne.”

Am 10. September 1898 wurde Elisabeth in Genf von dem italienischen Anarchisten Luigi Lucheni erstochen. Die Frau des Ausgleichs hat ihren wohlverdienten Platz nach Istváns Frau Gisela, Bélas Tochter Elisabeth von Thüringen und Königin Maria Theresia in der ungarischen Geschichte eingenommen. Romy Schneider, die „Sissy” in dem gleichnamigen Film, sorgte lediglich für die künstlerische Verewigung der heißgeliebten Königin. Ihr Mythos als Schutzengel des Landes wird von Generation zur Generation weitergegeben.

Die Österreichische-Ungarische Monarchie

Sisi – ein Leben zwischen
Glanz und Einsamkeit

„Ich gehe sowieso immer auf die Suche nach meinem Schicksal. Ich weiß, daß mich nichts davon abhalten kann, es an jenem Tage zu treffen, an dem ich es treffen muß. Alle Menschen müssen sich zu einer gewissen Zeit auf den Weg machen, ihrem Schicksal entgegen. Das Schicksal macht lange die Augen zu, aber einmal erblickt es uns doch. Jene Schritte, die man unterlassen soll, um ihm nicht zu verfallen, gerade die geschehen dann. Und ich tue diese Schritte seit jeher.”
(Sisi, zit. nach Constantin Christomanos, Elisabeth von Österreich. Die Tagebuchblätter)

Glückliche Kindheit

Sisi wurde am Weihnachtsabend des Jahres 1837 in München geboren. Sie galt von ihrer ersten Lebensstunde an als Glückskind, hatte sie doch bei der Geburt bereits den ersten Zahn im Mund. Noch mit fünfzig schrieb die einsame Kaiserin von Österreich in Erinnerung an eine glückliche Kindheit in ihr Tagebuch:
„Ich bin ein Sonntagskind, ein Kind der Sonne;
Die goldnen Strahlen wand sie mir zum Throne,
Mit ihrem Glanze flocht sie meine Krone,
In ihrem Lichte ist es, dass ich wohne,
Doch wenn sie je mir schwindet, muss ich sterben.”
(Sisi, Das poetische Tagebuch, S. 312)
Die Sommer ihrer Kindheit verbrachte Sisi mit ihren sieben Geschwistern auf dem kleinen Schloß Possenhofen, in der freien, ländlichen Gegend des Starnberger Sees. Ihre Eltern, Herzog Max in Bayern und Ludovika, hatten keine offiziellen Verpflichtungen am Königshof, und sie ließen die Kinder unbeschwert spielen, toben und reiten. Mit neun Jahren glich Sisi eher einem braungebrannten Landkind als einer Prinzessin. Sie war ein wildes, empfindsames und freiheitsliebendes Kind.

Die Eltern: Max und Ludovika

Ludovika, Sisis Mutter, war eine Tochter des bayerischen Königs Maximilian I. aus seiner zweiten Ehe mit Karolina von Baden. Im Gegensatz zu ihren drei Schwestern heiratete sie nicht in eine königliche Familie, sondern in eine Seitenlinie des Hauses Wittelsbach. Daß ihrem Mann und damit der Linie Birkenfeld-Gelnhausen der Titel eines „Herzogs in Bayern” zuerkannt wurde, war nur ein schwacher Trost für die enttäuschte Ludovika.
Nach der Hochzeit am 9. September 1828 offenbarten sich Eheschwierigkeiten, die sich vorher bereits hatten erahnen lassen. Max und Ludovika hatten nichts gemeinsam außer ihren Kindern, von denen acht am Leben blieben. Max, als typischer Wittelsbacher, war freiheitsliebend, exzentrisch und unzuverlässig, wenn auch charmant. Er verbrachte viel Zeit auf Reisen, immer auf der Flucht vor allem, was in irgendeiner Weise nach offiziellen Pflichten aussah. Um die Familie kümmerte er sich selten, ausgenommen seine Lieblingstochter Sisi. Ludovika dagegen widmete sich pflichtbewußt und tatkräftig ihren Kindern, obgleich sie erst spät begann, ihren Töchtern Disziplin beizubringen und in das aristokratische Leben einzuführen. Die große Chance für die ehrgeizige Mutter kam, als Sisis älteste Schwester Helene als Ehefrau für den österreichischen Kaiser ins Gespräch kam. Während Max fü solche Kuppeleien nichts übrig hatte, versuchte Ludovika, auf diese Weise endlich doch in die nähe einer Krone zu kommen.

Die Kaiserbraut

Ludovika und ihre Schwester Sophie, die Mutter des österreichischen Kaisers Franz Joseph, hatten Sisis älteste Schwester Helene zur Braut des jungen Monarchen bestimmt. Im Sommer 1853 sollten die beiden sich in Bad Ischl verloben. Doch Franz Joseph machte den beiden Müttern einen Strich durch die Rechnung. Statt in Helene verliebte er sich auf den ersten Blick in die 15-jährige Sisi, die nur als Begleitung mit Mutter und Schwester ins Salzkammergut gekommen war. Einen Tag später fand die Verlobung statt.
Ludovika war verblüfft, hatte sie doch Sisi nie für besonders attraktiv gehalten. Sophie ärgerte sich, statt der zur Kaiserin erzogenen Helene ein Kind zur Schwiegertochter zu bekommen. Sisi selber war unsicher, verwirrt, ratlos: „Ja, ich hab’ den Kaiser schon lieb. Wenn er nur kein Kaiser wäre,” gestand sie ihrer Gouvernante.
Im April 1854 fand die prunkvolle Hochzeit in der Wiener Augustinerkirche statt. Der Kaiser, von politischen Problemen bedrängt, ließ seine junge Frau viel allein, die, an Freiheit gewöhnt, jetzt in das Korsett der Wiener Hofetikette gezwängt wurde.

Die junge Kaiserin

Am Anfang ihrer Ehe bemühte sich Sisi noch darum, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen, so sehr ihr das Zeremoniell der Wiener Hofburg und das strenge Regiment ihrer Schwiegermutter Sophie verhaßt waren. Während Sisis Schönheit und ihre Natürlichkeit sie beim Volk rasch beliebt machten, bemühte sich Sophie, aus dem freiheitsdurstigen Kind eine disziplinierte Kaiserin zu machen. Sisi flüchtete in Melancholie:
„Ich bin erwacht in einem Kerker,
Und Fesseln sind an meiner Hand.
Und meine Sehnsucht immer stärker
Und Freiheit! Du mir abgewandt.”
(Bei Corti, S. 56)
Wenig Trost fand sie bei ihrem vielbeschäftigten Ehemann, der in der ersten Zeit in Wien ihr einziger Halt war. 1858 erfüllte Sisi ihre Hauptverpflichtung als Kaiserin: Nach den zwei Töchtern Sophie und Gisela brachte sie den langersehnten Kronprinzen Rudolf zur Welt. Alle drei Kinder wurden der Aufsicht der Mutter entzogen und der Obhut von Erzherzogin Sophie unterstellt, die ihnen eine angemessene Erziehung zukommen lassen wollte. Sisis Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter verschlechterte sich dadurch aber zusehends.

Franz Joseph

Inmitten der Revolutionswirren von 1848 bestieg Franz Joseph 18-jährig den österreichischen Kaiserthron, ein Spielball seiner Berater und seiner Mutter , deren kühle Steifheit er geerbt hatte. Pflichtbewußt und dogmatisch bis zur Grausamkeit regierte er bis 1916 über Österreich.
Obgleich er seiner Frau sehr zugeneigt war, litt sie ihr ganzes Leben unter seinem arroganten und langweiligen Wesen und seiner Nachlässigkeit, die er bei aller Freundlichkeit ihr gegenüber an den Tag legte. Seine kühlen Liebeserklärungen waren oft mit Kritik gemischt, seine Frauengeschichten führten zu Sisis Flucht aus Wien. Erst im Alter konnte Sisi dem zurückhaltenden und einsamen Mann mehr Verständnis entgegenbringen. Eingedenk der schönen Stunden anfälicher, aber verschwundener Liebe, unterstützte sie Franz Josephs Freundschaft mit der Hofburgschauspielerin Katharina Schratt. In ihr Tagebuch notierte Sisi im Juni 1887:
„O sprich mir nicht von jenen Stunden
Wo wir einander angehört;
Mit ihrem Glück sind sie entschwunden,
Und unser Eden ist zerstört.
Doch wird ihr Angedenken leben,
Bis Ruhe uns der Tod gegeben.

Drum lass mich niemals, niemals hören
Von Stunden, die auf ewig floh’n,
Die nimmermehr uns zwei gehören
Und deren Seligkeit jetzt Hohn;
Denn, dass wir einstmals uns besessen,
Bedeckt der Tod nur mit Vergessen.”
(Sisi, Das poetische Tagebuch, S. 210f)

Erzherzogin Sophie und die Wiener Hofburg

Erzherzogin Sophie, Sisis Schwiegermutter, war Ludovikas ältere Schwester und wie diese eine Tochter des bayerischen Königs Maximilian I. Joseph. Sie war eine Frau mit eigenem Willen und setzte 1848 nach der Abdankung Kaiser Ferdinands I. die Krönung ihres Sohnes Franz Joseph zum österreichischen Kaiser durch. Ihren willensschwachen Ehemann Franz Karl, den eigentlichen Thronfolger, überging sie dabei genauso, wie sie auf eigene Thronansprüche verzichtete. Bekannt als „der einzige Mann bei Hofe”, war Sophie es, die in den ersten Regierungsjahren Franz Josephs durch Rat und Tat die Politik Österreichs bestimmte. Sie führte das Regiment in der Wiener Hofburg und achtete streng auf die Einhaltung der Etikette und des „Spanischen Hofzeremoniells”. Sophies rigorose Haltung gegenüber der ungewollten Schwiegertochter Sisi entsprang ihrer eigenen Verwurzelung in dieser Welt des höfischen Protokolls, die Sisi so gerne verspottete:
„Auf Titania, schmücke dich
Heut’ mit Diamanten!
Sonntag ist’s, es nahen sich
Wieder die Verwandten.

Die in greller Pfauenpracht
Dort und falschem Schopfe,
Ei, wie sie sarkastisch lacht,
Mit dem schiefen Kopfe.

Ihr Gemahl, mit Fleisch beschwert,
Duckt sich, wenn sie keifet;
Wedelt aber höchst beehrt,
Wenn der Schwager pfeifet.”
(Sisi, Das poetische Tagebuch, S. 147ff)

Rebellion und Flucht

Zum Bruch zwischen Sisi und Wien kam es erst 1860, als Liebesaffären Franz Josephs bekanntwurden. Sisi fühlte sich nun nach Sophie auch von ihrem Mann verraten. Zudem litt sie an einer seltsamen Krankheit, die von den Hofärzten vorsichtig als „Lungenschwindsucht” bezeichnet wurde, während die Symptome in ihrer Gesamtheit eine Geschlechtskrankheit vermuten lassen. Von Franz Joseph zutiefst verletzt, flüchtete Sisi aus Wien und begann, rastlos zu reisen. Madeira, Venedig und Korfu wurden in den nächsten zwei Jahren ihre bevorzugten Aufenthaltsorte. Doch auch später kehrte sie nur noch selten nach Wien zurück. Aus der verunsicherten jungen Kaiserin wurde eine selbstbewußte, reife Frau.
Das Reisen wurde ihr Lebensinhalt: „Wenn ich irgendwo angekommen wäre und wüßte, daß ich mich nie mehr davon entfernen könnte, würde mir der Aufenthalt selbst in einem Paradies zur Hölle,” vertraute sie Jahre nach der ersten Flucht ihrem Griechischlehrer an.
„Eine Möve bin ich von keinem Land,
Meine Heimat nenne ich keinen Strand,
Mich bindet nicht Ort und nicht Stelle;
Ich fliege von Welle zu Welle.”
(Sisi, Das poetische Tagebuch, S.

Königin von Ungarn

Die Ungarn waren immer ein Dorn im Fleisch des österreichischen Vielvölkerstaates. Vergebens hatten sie 1848 um ihre Freiheit gekämpft. Sisi liebte Ungarn, teilweise aus Protest gegen Sophie, die alles Ungarische verabscheute, aber auch, weil sie sich zu Sprache und Menschen dieses Landes hingezogen fühlte. Das Jahr 1866 stürzte Österreich in eine schwere Krise, die das Habsburgerreich von vielen Seiten zu zerbrechen drohte. Doch Sisis Einsatz für einen österreichisch-ungarischen Ausgleich auf der Grundlage besonderer Rechte und Freiheiten für Ungarn unterstützte die Entspannung zwischen Wien und Budapest. Das Habsburgerreich wurde in zwei gleichberechtigte Teile geteilt. Es entstand eine Doppelmonarchie mit Wien und Budapest als gleichberechtigten Hauptstädten.
1867 wurde Franz Joseph zum König von Ungarn gekrönt – Sisis größter politischer Triumph. 10 Monate später kam Sisis jüngstes Tochter, Marie Valerie, zur Welt. Liebevoll das „ungarische Kind” genannt, wurde sie in der von Sisi so geliebten ungarischen Sprache erzogen und stand ihrer Mutter immer näher als die von Sophie aufgezogenen Kinder.

Schönheitskult

Trotz ihres Einsatzes für Ungarn war Sisi im tiefsten Innern kein politischer Mensch. So sagte sie ihrem Griechischlehrer: „Ich habe auch zu wenig Respekt vor der Politik und erachte sie eines Interesses nicht wert.”
Stattdessen setzte Sisi auf die Macht ihrer Schönheit, für die sie weltweit bewundert und angebetet wurde. Bei einer Größe von 172 cm wog sie nur 50 kg, und ihre ohnehin schmale Hüfte schnürte sie auf 65 cm. Ihr ganzer Stolz war ihr fersenlanges Haar, dessen Pflege jeden Tag Stunden dauerte. Sie selber nannte sich „Sklavin meiner Haare”. Um diese Schönheit zu erhalten, hielt Sisi strenge Diät und trieb exzessiv Sport – sie ritt, turnte und wanderte. Ihre Schönheit verschaffte ihr Ruhm, aber in späteren Jahren folgten daraus auch körperliche Schwäche und Hungerödeme.
Selbstinszenierung und Schönheitskult kosteten ihren Preis: Der Narzißmus, mit dem sie über ihren Körper wachte, zwang sie zu andauernder Beschäftigung mit sich selber. Nicht selten verweigerte sie sich den ohnehin verhaßten Repräsentationspflichten bei Hof, weil sie mit ihrem Aussehen nicht zufrieden war. Mit zunehmendem Alter versteckte sie sich vor Fotographen hinter Fächern und Schirmen.

Reiten als Passion

Die Liebe zu Pferden und dem Freiheitsgefühl im Sattel wurde Sisi gleichsam in die Wiege gelegt. Ihr Vater Max war der erste, der sie von Kindheit an zu langen Ausritten und gefährlichen Sprüngen ermunterte und das Vergnügen an zirkusreifen Reitkunststücken weckte. Obwohl ihr wilder und leichtsinniger Reitstil von ihrem Mann und der Wiener Aristokratie mißbilligt wurde, hielt Sisi auch als Kaiserin von Österreich an ihren Ausritten fest, bis ihr zunehmend kranker Körper es nicht mehr erlaubte.
Reiten war für Sisi nicht nur eine Sportart zur körperlichen Ertüchtigung und zur Erhaltung ihrer Figur, es war auch eine Möglichkeit der Selbstdarstellung. Sisi trainierte ehrgeizig viele Stunden am Tag, um nicht nur die schönste Monarchin der Welt, sondern auch die beste Reiterin zu sein und ihre einzige aristokratische Rivalin auf dem Pferderücken, Kaiserin Eugénie von Frankreich, zu übertreffen.
Ihrer Lust am Reiten konnte Sisi in den Weiten Ungarns freien Lauf lassen, wo sie auch unter den bewundernden Blicken vieler Aristokraten an den großen Fuchsjagden teilnahm. Die Jagden in England und Irland in den 1870er Jahren bildeten den Höhepunkt von Sisis sündhaft teurer Reitbegeisterung.

Sisis Meister: Heinrich Heine

Sisi liebte es, ihre Gefühle, Erlebnisse und Gedanken in Gedichten festzuhalten. Ihr verehrtes und bewundertes Vorbild war der deutsche Dichter Heinrich Heine (1797 – 1856), ein Lyriker, satirischer Erzähler und Essayist, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in zahlreichen politischen Werken für Demokratie und soziale Gerechtigkeit gekämpft hatte. Mit ihrem „Meister” verkehrte Sisi in spiritistischen Sitzungen, sie glaubte, seine Hand führe beim Dichten die ihre. Auf Korfu ließ sie einen Heine-Tempel errichten: „(…)ich liebe an ihm seine grenzenlose Verachtung der eigenen Menschlichkeiten und die Traurigkeit, mit der ihn die irdischen Dinge erfüllten” (Christomanos, Tagebuchblätter, S.149). In Gedichten an den Meister brachte sie ihre grenzenlose Begeisterung zum Ausdruck:
„Es schluchzt meine Seele, sie jauchzt und sie weint,
Sie war heute nacht mit der Deinen vereint;
Sie hielt Dich umschlungen so innig und fest,
Du hast sie an Deine mit Inbrunst gepresst.
Du hast sie befruchtet, Du hast sie beglückt,
Sie schauert und bebt noch, doch ist sie erquickt.
O könnten nach Monden aus ihr noch erblüh’n
so wonnige Lieder, wie Dir einst gedieh’n!-
Wie würde sie hegen, die Du ihr geschenkt,
Die Kinder, die Du, Deine Seele getränkt.”
(Sisi, Das poetische Tagebuch, S. 312)

Im Kreis der Familie

Sisis erste drei Kinder, Sophie (geboren 1855), Gisela (geboren 1856) und Rudolf (geboren 1858) wurden der Obhut ihrer Mutter weitgehend entzogen, da Erzherzogin Sophie auf einer „kaiserlichen” Erziehung ihrer Enkelkinder durch höfische Lehrer bestand. Daher blieb Sisis Verhältnis zu ihren Ältesten immer etwas unterkühlt und wenig herzlich, obwohl Sophies früher Tod 1857 Sisi mit tiefer Trauer, Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen erfüllte. Die Entfremdung zu ihren Kindern und zu ihrem vielbeschäftigten, aber einsamen Ehemann wurde durch Sisis Flucht aus Wien 1860 noch verstärkt. Sisi entzog sich jeder Form von Familienleben. Nur ihrer jüngste Tochter, Marie Valerie (geboren 1868) gab Sisi die Liebe und Zuwendung, die sowohl ihre älteren Kinder, als auch ihr Ehemann gebraucht hätten. Mit fast übertriebener Fürsorge klammerte sich Sisi an ihr „ungarisches Kind „. Die Liebe, die Marie Valerie später für ihren Ehemann Franz Salvator von Toskana empfand, erfüllte Sisi mit Eifersucht.
Zwar gab Sisi durch ihre ständige Abwesenheit von Wien ihrer Familie keine Möglichkeit der Annäherung, doch wehrte sie Vorwürfe ab, sie sei egoistisch. Constantin Christomanos zitiert sie mit folgenden Worten: „Sehen Sie, man hält mich für selbstsüchtig, aber ich habe wirklich keine Zeit, an mich zu denken…” (Christomanos, Tagebuchblätter, S. 153). Doch bezog Sisi diesen Satz nur auf ihre intensive Verbindung mit der Natur und deren Schönheit, nicht auf die Menschen in ihrer Umgebung.

Luigi Lucheni

Er sei nach Genf gekommen, um den Herzog von Orleans zu töten, sagte der 25-jährige Anarchist Luigi Lucheni dem Untersuchungsrichter, nachdem er die Kaiserin von Österreich mit einer geschliffenen Feile ermordet hatte. Da er diesen nicht habe finden können, habe er die andere umgebracht in Ermangelung eines Besseres.
Seit Mai 1898 hielt sich Lucheni in Lausanne auf, wo er sich einer Anarchistengruppe angeschlossen hatte. Er selber bezeichnete sich als „individualistischen Anarchisten”. Da sein anarchistisches Wissen aber eher oberflälich war, glaubte man kaum an einen Einzeltäter, vielmehr an ein Komplott gegen die Kaiserin von Österreich. Doch war und blieb es Lucheni allein, der für das Attentat verantwortlich gemacht und im Oktober 1898 zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt wurde. Dort fing er an, sich weiterzubilden, Sprachen zu lernen und an seiner Autobiographie zu schreiben. Am 19. Oktober 1910 beging er Selbstmord, angeblich aus Verzweiflung darüber, daß der Gefängnisdirektor ihm fünf Hefte mit seiner Lebensgeschichte weggenommen hatte. Über seiner Person und seinem Leben stehen noch immer die Worte, mit denen er seinen kaltblütigen Mord an Sisi kommentierte:”Ich bereue nichts!”.
„Ihr Mörder tötete sie mit einem Wort, das viel schlimmer war als sein unheilvolles Stilett,”, so der Diplomat und Schriftsteller Paul Morand 1963. „Das Double zu spielen, wenn man die erste große Rolle sein möchte, heißt zweimal ermordet zu werden…”(Christomanos, Tagebuchblätter, S. 194)

Tod in Genf

Schicksalsschläge vergrößerten Sisis Einsamkeit. Der Tod König Ludwigs II. Von Bayern 1886 beraubte sie eines ihrer wenigen wirklichen Freunde. Der Selbstmord ihres Sohnes Rudolf 1889 in Mayerling aber brach sie völlig. Nur noch in schwarz gekleidet, setzte sie ihre einsame Odyssee fort, von Selbstmordgedanken verfolgt, hoffnungslos und unglücklich. Der Nachwelt, den von ihr so genannten „Zukunfts-Seelen”, hinterließ sie traurige Bilder ihrer Einsamkeit:

„Ich wandle einsam hin auf dieser Erde,
Der Lust, dem Leben längst schon abgewandt;
Es teilt mein Seelenleben kein Gefährte,
Die Seele gab es nie, die mich verstand.”
(Sisi, das poetische Tagebuch, S. 214)
Als der Anarchist Luigi Lucheni der Kaiserin von Österreich am 10. September 1898 in Genf eine geschliffene Feile ins Herz stieß, traf er eine vom Leben enttäuschte Frau. Das Schicksal hatte Sisi zuletzt doch noch gefunden. Von den Zukunfts-Seelen erhoffte sie Verständnis:
„Ihr teuern Seelen jener fernen Zeiten,
Zu denen meine Seele heute spricht,
Gar oft wird sie die eueren begleiten,
Ihr last ins Leben sie aus dem Gedicht.”