„Eine tapfere, unabhängige Nation”

Otto von Bismarck war preußischer Gesandter beim Deutschen Bundestag in Frankfurt. Im Sommer 1852 begab er sich auf seine erste große Dienstreise nach Wien. Dabei ließ er sich sozusagen von der antipreußischen Haltung Österreichs begleiten.

Zwei Jahre waren seit dem Olmützer Frieden vergangen, durch den Österreich Preußen daran hinderte, Teile von Deutschland zu einer „Union” zusammenzufassen. Die Repräsentanten des Wiener Absolutismus beabsichtigten, sich im Namen der Gesamtmonarchie an die Spitze des Deutschen Bunds zu stellen. Dieses hegemoniale Projekt wurde vom russischen Zaren Nikolaj I. unterstützt, er wäre im Fall der Fälle bereit gewesen, den Habsburgern unter die Arme zu greifen. Diese Tatsache bewegte Friedrich Wilhelm zur Unterzeichnung des Olmützer Friedens. Die Österreicher wollten über den Beitritt der Monarchie in den deutschen Zollverein verhandeln.

Der König von Preußen beauftragte Bismarck, sich mit Kaiser Franz Josef zu treffen, um mit diplomatischem Geschick diesen Plan zu vereiteln, denn günstige Zölle hatten bereits zum Aufschwung der österreichischen Industrie beigetragen und machten sie zur echten Konkurrenz der deutschen. Als Bismarck Wien erreichte, war der Kaiser gerade auf seiner ersten Reise durch Transleithanien (=der ungarische Teil der Monarchie). Er bat Bismarck, ihm nach Buda zu folgen. Dort betrachtete man Bismarck als hohen Staatsgast und sorgte dafür, dass er von der trüben Stimmung nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution 1848/49 nichts mit nach Hause nehme. Denn die Wiener Unterhändler konnte noch nicht erahnen, dass für den jungen preußischen Diplomaten die Unabhängigkeit Ungarns nie zur Herzenssache würde. Noch weniger ahnten sie, dass ihr Berliner Besucher eines Tages mit „Eisen und Blut” die Deutsche Einheit schaffen würde. Sie organisierten orientalisch – exotische Vergnüglichkeiten für ihn. Diese beinhalteten ein Fest in der Budaer Burg und einen mehrtägigen Ausflug aufs Land, an die Theiß.

Bismarck war sowohl von seinen Gastgebern, als auch vom Ambiente entzückt. So schrieb er am 24. Juni 1852, einen Tag nach seiner Ankunft, an seine Gemahlin, Johanna von Puttkamer:
„Ich habe heute viel Uniform getragen, in förmlicher Audienz dem jungen Herrscher dieses Landes meine Creditive überreicht, und einen sehr wohltuenden Eindruck von ihm erhalten. (…) Ein Volksfest hatte tausende hinangeführt, die den Kaiser, der sich unter sie mischte, mit tobenden „éljen” umdrängten, Csárdás tanzten, walzten, sangen, musizierten, in die Bäume kletterten und den Hof drängten.”

In den folgenden Tagen erlebte er die ungarische Wirklichkeit hautnah in Szolnok und Kecskemét: „Mann ließ mich nicht ohne Escorte reisen, da die Gegend durch berittene Räuberbanden, hier Betyáren genannt, unsicher gemacht wird. (…) Grade in der Gegend, nach der ich reiste, sollten die übelsten Raubnester liegen, an der Theiß, wo die Sümpfe und Wüsten ihre Ausrottung fast unmöglich machen. Sie sind vortrefflich beritten und bewaffnet, diese Betyáren in grossen Pelzen, mit Doppelflinten in der Hand und Pistolen im Gurt, deren Anführer schwarze Masken tragen und zuweilen dem kleinem Landadel angehören.”

Die Entscheidung 1866

Im Jahre 1862 war Bismarck als preußischer Gesandter in Paris akkreditiert, und Kaiser Napoleon III, ein eifriger Verfechter der deutschen Einheitspläne, war mit ihm darin einig, Österreich dem Weg in dieses Bündnis zu versperren. Von diesen Absichten erfuhren auch die in Paris lebenden ungarischen Emigranten, die daraufhin Kontakt mit dem gleichgesinnten Preußen suchten. Die Initiative ergriff Graf Arthur Scherr-Tosz, der nach der Niederlage bei Világos (1849) in die französische Metropole flüchtete.

Das Treffen fand im letzten möglichen Augenblick statt, denn damals hatte Bismarck die Ernennung zum Ministerpräsidenten Preußens bereits in der Tasche. Die Unterredung begründete eine dauerhafte Beziehung. Graf Scherr-Tosz, Journalist von Beruf, schickte danach regelmässig Berichte über die Stimmung im Pariser Exil nach Berlin und hatte an der Bildung einer preußisch-ungarischen Legion im Jahre 1866 großen Anteil. Er war durch Bismarcks vages Versprechen bei jener Pariser Begegnung motiviert: „Wenn wir siegen, dann wird auch Ungarn frei sein.” – meinte er. Die Legion, die auch „Königlich Preußischer Parteigängerkorps” hieß, vereinigte in sich meist im Ausland lebende ungarische 1848er Veteranen, die bereit waren, sich als Hilfstruppe des Hohenzollern gegen die Habsburger zu verdingen. Der preußische Triumph gegen die Habsburger bei Königgrätz (Juli 1866) und der darauffolgende Vorstoß der Preußen in Richtung Wien bot Anlass für die 1700-2000 Mann starke Legion, nach Ungarn einzufallen, um dort Aufruhr zu verbreiten.

Der Zeitpunkt der Offensive war jedoch mit der „Berliner Zentrale” nicht koordiniert, die Legion marschierte vorzeitig los und war sich nicht im klaren, wo genau die Demarkationslinie zwischen Österreich und Preußen lag. Graf Scherr-Tosz wurde verhaftet, General György von Klapka, der einst heldenhafte Verteidiger der Burg Komorn, entschied sich zum Rückzug und setzte so der Legion ein jähes Ende.

Das diplomatische Geflecht

In der Zeit um den Ausgleich 1867, als die Doppelmonarchie zustande kam, änderte sich die gesamte Machtkonstellation des Kontinents: Frankreich kämpfte gegen Preußen um den spanischen Thron und erlitt dabei eine bittere Niederlage bei Sedan (September 1870). Es verzichtete auf Elsaß und Lothringen sowie Luxemburg. Die Landkarte Europas wurde im Januar 1871, als Bismarck das Deutsche Reich ausrief, völlig über den Haufen geworfen.

Um seine innenpolitische Position und die neu erworbene Einheit seines Landes auch stabilisieren zu können, brauchte er starke Verbündete. England war gegen die Annexion der französischen Gebiete, es wollte auf keinen Fall mit Frankreich in Streit kommen. Österreich-Ungarn betrachtete Frankreich als Gegner, da die verlorenen Gebiete um Venedig nun Frankreich gehörten. Die Aussenpolitik des Habsburgerreiches, die Ernennung Gyula von Andrássys zum Aussenminister 1871, überzeugte Bismarck davon, dass, wenn er den Frieden bewahren will, die einzige Alternative eine Koalition von Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn ist.

Das Angebot kam Andrássy gelegen, zumal in der Monarchie Konsens darüber herrschte, dass dem Vordringen des russischen Imperiums auf dem Balkan Einhalt geboten werden muss. Der im 1873 unterzeichnete Dreikaiserpakt, eine Neuauflage der Heiligen Allianz, erwies sich jedoch nicht als langlebig. Seine Zerbrechlichkeit zeigte sich bereits zwei Jahre später, als Russland auf Kosten des osmanischen Reiches expandieren und so den Pakt brechen wollte. Bismarck reagierte schnell und lud die Diplomaten der betreffenden Staaten im Sommer 1878 in die Wilhelmstrasse 77, die Reichskanzlei, nach Berlin ein. Über die Dreierkoalition zog er folgende Bilanz: „Die Vermittlung des Friedens denke ich mir nicht so, dass wir den Schiedsrichter spielen, sondern als die eines ehrlichen Maklers, der das Geschäft wirklich zustande bringen will”.

Und der ehrliche Makler sprach sich ehrlich über Ungarn aus: „Absolut sicher für die Dauer war keine der beiden Verbindungen, weder das dynastische Band mit Russland noch die populäre ungarisch-deutsche Sympathie. Wenn in Ungarn stets die besonnene politische Erwägung den Ausschlag gäbe, so würde diese tapfere und unabhängige Nation sich darüber klar bleiben, daß sie als Insel in dem weiten Meere slawischer Bevölkerungen sich bei ihrer verhältnismässig geringen Ziffer nur durch Anlehnung an das deutsche Element in Österreich und Deutschland sicherstellen kann. Aber die Kossuthsche Episode (…) zeigte, dass in kritischen Momenten das Selbstvertrauen der ungarischen Husaren und Advokaten stärker ist als die politische Berechnung und die Selbstbeherrschung.”

Dem Vermittler gelang es, den Frieden von Berlin innerhalb eines Monats unter

Dach und Fach zu bringen. Russland verzichtete auf die Errichtung Grossbulgariens, die Osmanen konnten dadurch einen bedeutenden Teil ihrer Gebiete behalten, erhielten Bessarabien zurück, woraufhin sie Zypern an England abtraten, das auch noch Malta und Gibraltar bekam. Die Rumänen erhielten die nördliche Dobrudscha zugesprochen, und Österreich-Ungarn wurde das Recht zur Okkupation (nicht zur Annexion) von Bosnien und Herzegowina eingeräumt.

Bismarck fürchtete nun ein revanchistisches französisch-russisches Bündnis und benötigte den Beistand der Doppelmonarchie, also dessen Aussenministers, Andrássys. Er musste definitiv wissen, wie sich Österreich-Ungarn verhalten würde, wenn Russland Deutschland angreife. Als Andrássy im August 1879 in Gastein den Beistand der Monarchie dem Kanzler klar zum Ausdruck brachte, war er recht zufrieden. Am 20. September erhielt Andrássy von Bismarck eine schriftliche Bestätigung:

„Ich bin hiernach von meinem allergnädigsten Herrn (Kaiser Wilhelm) ermächtigt, eine Defensiv-Allianz zwischen Österreich-Ungarn und dem deutschen Reich bedingungslos und mit oder ohne bestimmte Zeitdauer vorzuschlagen. (…) An dieser Genehmigung besteht für mich kein Zweifel, wenn Euere Excellenz in der Lage sind, (…) im Namen seiner Majestät des Kaisers Franz Joseph zuzustimmen. Jedenfalls werde ich mich glücklich schätzen, wenn unsere Besprechungen dieses oder jedes andere, den übereinstimmenden Interessen beider Reiche und dem Frieden Europas förderliche Resultat herbeiführen.”

Seine Majestät stimmte zu und der Vertrag ging als „Zweibund” in die Geschichte ein. Die beiden sicherten einander Beistand zu, wenn der „Erzfeind” Russland einen von den beiden angreifen würde. Sollte der Angreifer ein dritter Staat sein (etwa Frankreich) – hieß es im Vertag – , nimmt der andere Alliierte eine neutrale Haltung ein.
Das Abkommen der beiden Staatsmänner bestimmte das deutsch-ungarische Verhältnis über ihre Lebzeiten hinaus, und blieb bis zum Ende des Ersten Weltkrieges bestehen. Es war Andrássys Sohn und Nachfolger, der 1918 der Entente erfolglos einen Sonderfrieden anbot und gleichzeitig den von seinem Vater geschlossenen Zweibund mit Deutschland aufkündigte. Ebenso wie Andrássy junior nur noch ein Schatten seines klugen Vaters war, verspielten auch Bismarcks nachfolger in ihrem ungestümen Imperialismus all das, was Bismarck in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut hatte.