König Matthias Corvinus, der Gerechte

Als Sohn des ersten ungarischen Reichsverwesers, János Hunyadi, lernte der junge Matthias sowohl die sonnige als auch die schattige Seite des Weltruhms seines Vaters kennen. Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er seinen Vater nicht vergessen können. Seit August 1456 läuteten auf Anordnung des Papstes jeden Tag um 12 Uhr mittags alle Kirchenglocken des Kontinents als Erinnerung an den großen Sieg gegen die Türken bei Nádorfehérvár (Belgrad).

Kaum war jedoch der Triumph verkündet, fiel der Heerführer Hunyadi einer Epidemie zum Opfer. Sein Nachfolger László Hunyadi wurde im Verlauf der inneren Kämpfe hingerichtet – von dieser Geschichte handelt die von Ferenc Erkel komponierte Nationaloper der Ungarn.

Ein Jahr später starb König László V. (Ladislaus) und das Land befand sich in einem innenpolitischen Chaos und ohne Thronnachfolger. Zu Ehren des Feldherrn rief der mittlere Adel etwa 40.000 Hunyadi-Anhänger zu einem Aufmarsch nach Buda auf. Wegen der kalten Jahreszeit versammelten sie sich auf dem Eis der Donau und forderten die Burgherren auf, Hunyadis am Leben gebliebenen jüngeren Sohn Matthias zum König zu wählen. Der Wunschkandidat war jedoch nicht abrufbar, da ihn der böhmische Thronanwärter Jiri (Georg) Podiebrad in Prag gefangen hielt.

Die böhmische Präsenz im Deutsch-Römischen Reich war seit dem „Ketzerführer Hus“ gefährdet. Weder beim Kaiser noch beim Papst konnte Podiebrad mit viel Sympathie rechnen: Er erwies den einheimischen Hussiten Reverenz, was zweifelsohne ein Dorn im Auge der traditionellen christlichen Oberhäupter war.

Wenn man dem Geschichtsschreiber Thúróczy Glauben schenken kann, entführte er Matthias aus Wien; als er von der Donau-Demonstration und deren Ausgang erfuhr, zwang er seine Geisel zur Vermählung mit seiner Tochter Katharina.
Für die Amnestie reichte jedoch nicht einmal Matthias´ Einlenken aus; seine Mutter musste den Königssohn mit Gold freikaufen.

Dies geschah im Jahre 1458. Das junge Königspaar machte sich gleich an die Arbeit: sie feierten eine pompöse Hochzeit und umgaben sich mit erfahrenen und hochgebildeten Staatsmännern. In seiner Außenpolitik musste der junge Herrscher vor allem die nach wie vor aktuelle osmanische Gefahr berücksichtigen. Er bildete seine Krieger zu Berufssoldaten aus, organisierte eine Söldnerarmee, in welcher neben den einheimischen auch böhmische, italienische und deutsche Kämpfer vertreten waren. Dies war das legendäre „Schwarze Herr“.

Auf der politisch-theoretischen Ebene stellte er die Schaffung einer mitteleuropäischen Donaumonarchie als Bollwerk gegen die türkischen Eindringlinge in Aussicht. Mit dem frühen Tod Königin, Katarinas im Jahre 1464 gingen jedoch die guten nachbarlichen Beziehungen zwischen Ungarn und Böhmen in die Brüche.
Die „Vereinigungspläne“ erwiesen sich außerdem als verfrüht. In den einzelnen Ländern dominierte eher der Schutz der direkten Interessen; viel weniger dachte man an die massive Bedrohung aus dem Süden.

Selbst der ungarische König verfolgte eine kontinentale Politik. Er kämpfte für den tschechischen oder polnischen Thron und sein Hauptziel war es, deutsch-römischer Kaiser zu sein. Am Ende seiner Herrschaft eroberte er sogar Wien. Ein Augenzeuge berichtet über dieses Ereignis:
„Es ist zu wissen, dass Matthias, König der Ungarn, im Jahre 1485 des Herrn, am Vorabend des Fronleichnamsfestes am Morgen um acht Uhr in die Stadt Wien einzog, um diese einzunehmen. Zuerst schickte er 32 Fuhrwerke mit Proviant voraus, danach 2000 ausgewählte Reiter. Drittens folgten diesen Reitern 24 Kamele mit der Schatzkammer des Königs. Viertens folgten 400 Fußsoldaten, fünftens 24 Bischöfe mit 1000 Reitern. Sie folgten ihm gut bewaffnet und auf Pferden, mit Schabracken bedeckt, die bis zum Boden reichten. Siebtens folgten dem König 200 sehr gut ausgewählte Soldaten zu Fuß. Achtens kamen dann 1000 Ochsen dazu. So hat es Gott gefallen. Die Alten sagen, das Glück ist spielerisch. Wir schreiben alles dem göttlichen Willen zu.“

Von hier aus zog er gegen seinen eigenen Schwiegervater nach Prag in den Krieg. Diese Eroberungen lösten beim deutschen Kaiser Friedrich volle Zufriedenheit aus, Versorgung der genannten Stadt. (…) Wien, der Sitz Österreichs, gelangte in die Hand der Ungarn. zumal sich der Front gegen den „Hussitenkönig“ auch die drei wichtigsten Wittelsbacher – Herzog Ludwig „der Reiche“ von Landshut, Albrecht IV. „der Weise“ von München sowie der Pfälzer Kurfürst – angeschlossen hatten. Die Verhältnisse zwischen den Verbündeten waren jedoch nicht hundertprozentig korrekt: Zwar verpflichteten sich die Bayern zum Bündnis gegen Böhmen, wollten jedoch Matthias keine Waffenhilfe zusagen. Hingegen sollte der Magyarenkönig im Fall eines böhmischen Angriffs gegen Bayern aktive Hilfe gewährleisten. Dazu kam es allerdings nicht: Matthias erhielt nach zwei Jahren den böhmischen Königstitel und sicherte den Bayern gute nachbarliche Beziehungen zu. Der Kaiser und seine Habsburger, die sich langfristig ebenfalls nach dem Prager und Budauer Thron sehnten, gerieten ungeachtet der bayerisch-ungarischen Koalition sehr bald in eine Feindschaft mit Ungarn.

Matthias in Lehrbüchern und der Poesie

Eine lange Kette von Anekdoten bildete sich bereits zu Lebzeiten um die Person von Matthias.
Der Schrifsteller György Dalos hat darüber einen Aufsatz zur Berliner Ausstellung „Mythen der Nationen“ (1998) geschrieben. Der König erschien in diesen Geschichten als jemand, der die eigentliche Pflicht eines Herrschers wahrnimmt, indem er Gerechtigkeit ausübt. Nach seinem Tode wurden die kleinen Erzählungen Legenden, die die Nachwelt, und auch die Lehrbücher des romantischen Zeitalters emphatisch übernommen.

Eine umfassende Charakterisierung von Mátyás Hunyadi bietet das Lehrbuch „Ungarländische Geschichten für die protestantische Schuljugend” an (1846): „Matthias gehört zu den edelsten Königen Ungarlands; er war im Kampf mutig und siegreich, seine Waffe machte das Land ruhmreich. Zwar war er sehr reizbar und in seinem Zorn manchmal ungerecht, und belastete seine Untertanen mit Steuern, seine Tugenden waren jedoch zahlreicher als seine Schattenseiten. Er war persönlich in den Wissenschaften überaus bewandert, mochte und pflegte die Gelehrten, die Literatur und die Künste, weiterhin war er energisch und streng, konnte in seinem Land die Ordnung aufrechterhalten, bremste – und im Fall der Notwendigkeit besteuerte sogar – die machthabenden Pfarrer und den Adel; gegenüber dem gemeinen Volk war er sanft und herablassend und ergriff wirksam seine Partei, weswegen nach seinem Tod das Sprichwort entstand: „König Matthias ist tot, die Gerechtigkeit ist hin!” Nach einer berühmten und vielfach erzählten Anekdote lud Matthias nach einem Mittagessen in Gömör die Herrschaften auf einen Weinberg mit ein und ließ sie diese, „indem er die Instrumente den Arbeitern wegnahm (…) hacken. Als die Herren dann von der großen Arbeit müde wurden, machte er sie darauf aufmerksam, dass sich die arbeitende Klasse ebenso anstrengt, um ihre Bequemlichkeit zu sichern, weswegen sie diese Klasse und deren Arbeit respektieren sollten.”

Zeitbedingt klingen auch die dem König in den Mund geschobenen Worte. „Seht ihr“, lesen wir in einem Schulbuch, „kaum arbeitet ihr ein paar Minuten, seid ihr bereits todmüde. Eure armen Leibeigenen bemühen sich den ganzen Tag und ihr verachtet sie doch. Dabei schwitzen sie euch zuliebe und würden sie nicht arbeiten, wäret ihr längst am Hunger gestorben. Deswegen behandelt ihr sie menschlich!“ Das andere lehrt uns: „Vergesset niemals, wie viel Schweiß den armen Bauer das kostet, was ihr verschwendet. Behandelt ihn daher schonungsvoll.“

Dem ursprünglichen Stoff des 15. Jahrhundert werden fromme Wünsche der beginnenden Aufklärung beigegeben: Man wünscht sich einen Bürgerkönig, einen Herrscher zum Anfassen, dem nicht einmal die Idee der Gleichberechtigung fremd vorkommt: „Im Menschen achtete er nur den Menschen, unabhängig davon, welchen Rang oder Titel derselbe besaß. So konnte sich eine Reihe hervorragender Menschen durch Verstand oder Mut aus dem gemeinen Volk emporheben. Der berühmteste unter ihnen war Pál Kinizsi, der vom Müllerknecht zum hervorragendsten Heeresführer des Landes wurde.“
Zwar mochte das konkrete Beispiel für Matthias’ Zeit authentisch sein, aktualisiert wurde es durch die moderne Gleichheitsidee, was besonders seine vage Anwendung auf eine heikle Frage zeigt: „Ein Jude, mit seinem vorigen Namen Ernest, kam durch seine praktischen Kenntnisse und Anständigkeit so weit, dass er, nach dem er sich taufen ließ, zu Matthias‘ Schatzmeister wurde; und dass die Schatzkammer von Matthias immer voll war, das sprach sowohl für die Anständigkeit des Schatzmeisters als auch für die Menschenkenntnisse des Königs.“

Matthias erschien in der romantischen Überlieferung nicht als Naivling, sondern als ein gewiefter Staatsmann, der wahre Informationen von der Lüge zu unterscheiden wusste. „Wenn er keinen Krieg führte“, lesen wir im Lesebuch für höhere Volks- und Gewerbeschulen (1874) „und die Sorgen des Landes ihm noch ein wenig Zeit ließen, machte er Rundreisen im Lande, um in Erfahrung zu bringen, ob das Glück des gemeinen Volkes nicht verhindert wird. (…) Zumeist verkleidete er sich und bewanderte mal als Jäger mal als Gelehrter die einzelnen Gegenden, so dass man im Königshof oft nicht wusste, wo er verschwunden war.“

Das bleibendste Denkmal dieser edlen Leidenschaft wurde jedoch nicht im nationalen Anekdotenschatz sondern in der Poesie errichtet.
Der Romantiker Mihály Vörösmarty (1800-1855) verewigte den König als Jäger, der im Wald des Vértes die schöne Ilonka erblickt. Das Mädchen führte ihn in das Haus ihres Großvaters, des alten Peterdi, eines ehemaligen Kriegers von János Hunyadi. Der Alte forderte seinen Gast, der sich als Jäger vorstellte, auf, auf das Leben des Königs zu trinken. Matthias fühlte sich zu einem merkwürdigen Trinkspruch gezwungen:

Den du eines Helden Sproß geheißen,
leb, solang er lebt fürs Vaterland!
Doch sein Lebensfaden soll zerreißen,
ist er je der Heimat abgewandt;
denn ein König, bös und ohne Würde,
ist ein Lump und seines Volkes Bürde.

Das Mädchen verliebte sich in den Jäger, der die beiden nach Buda einlud, wo sie ihn in Matthias‘ „hochgelegener Burg“ aufsuchen sollten. Ilonka und Peterdi kamen in dem Augenblick in Buda an, als der König gerade aus einem seiner ruhmreichen Kriege zurückkehrte und von seinem Volk bejubelt wurde. Der feierliche Anlass hatte den als Jäger verkleideten Herrscher verraten.
Und der Greis erkennt: Dem er begegnet,
ist Matthias – „Und er sei gesegnet!“
„Nach dem Jäger bei Matthias sehen,
schönes Töchterlein, was soll‘s, wozu?
Laß uns wieder in die Wildnis gehen,
unser kleines Heim dort gibt uns Ruh.“
So der Greis, er kennt der Leiden Maße.
Heimwärts geht das Paar die Kummerstraße.
(Mihály Vörösmarty: Schöne Ilonka. Aus dem Ungarischen Günther Deicke)

siehe Literatur, Corvin Kodexe