SCHÄTZE DER UNGARISCHEN DICHTKUNST
János Arany
1817-1882

Fragt man nach dem größten Dichter Ungarns, wird Arany an erster Stelle genannt. Höchstens Petőfi wird ihm den ersten Platz streitig machen, dann ist ihm der zweite sicher. Petőfi ist in der ganzen Welt bekannt; dazu machte ihn sein eruptives Dichtergenie, das wie eine Rakete aufschoß und nach 26 Jahren auf dem Schlachtfeld für die Freiheit erlosch. Arany lebte 66 Jahre und hinterließ ein bedeutendes Werk, das vielseitig mehrere Gattungen einschloß.

Trotzdem ist sein Weltruhm bei weitem nicht so sicher, wie er es verdiente, und es ist keine Frage, daß daran auch dieses Bändchen, das hauptsächlich den Lyriker vorstellt, nicht viel zu ändern vermag. Schon allein der Umfang beschränkt die Möglichkeiten, wobei auch die Problematik der Übersetzbarkeit ein Faktor ist, der die Hoffnungen nicht allzu hoch sthrauben läßt.

Wer war dieser Arany? Er selbst sagte dazu in seiner Antwort an Petőfi:

Fragst du, wer ich bin? Ein Sproß des Volks, ein schlichter,
einer, der nur mit und in dem Volksstamm lebt,
der sein Schicksal teilt, und singt er was als Dichter,
in das Lied des Volkes Wohl und Weh einwebt.

Dieses Gedicht schrieb Arany zum Dank an Petőfi, als dieser ihn, den Unbekannten, mit einem Brief und einem Gedicht beglückwünschte zu seinem Epos Toldi, mit dem der namenlose Dorfschreiber als Gewinner eines von der Kisfaludy-Gesellschaft ausgeschriebenen Preises in die Literatur hineinplatzte. Allerdings hatte er bereits zwei Jahre vorher mit der satirischen Dichtung Die verlorene Verfassung, der Persiflage eines Wahlkampfes, einen Preis gewonnen. Damit und dann erst recht mit Toldi, dem entzückenden, geschichtlich-heroischen und bäuerlich unmittelbaren Heldengesang und dann diesem nach zwei jahren folgenden bedenklicheren Toldis Abend hat sich Arany für die Epik verpflichtet, eigentlich für sein ganzes Leben. Davon zeugen die großen Epen Budas Tod und das Alterswerk Toldis Liebe, der überreife mittlere Teil der Toldi-Trilogie. Außerdem schrieb Arany noch einige kürzere, teils unvollendete epische Dichtungen (Istók der Nari, Der Dorfnarr), und hier sei noch das mit Herzblut geschriebene tragikomische Epos genannt, Die Zigeuner von Nagyida, eine Persiflage der überstandenen Ereignisse der Revolution und des Freiheitskampfes. Die höchste Stufe als Epiker erreichte Arany aber mit seinen Balladen. Wenn Aranys Vorhaben, das nicht existente oder nicht erhalten gebliebene ungarische Nationalepos neu zu schaffen – eine Hunnentrilogie, basierend auf der angenommenen Verwandtschaft der Ungarn mit den Hunnen, Budas Tod sollte ein Teil davon sein – hinter seiner Zeit, die Epen nicht mehr wünschte, zurückgeblieben war, so gilt das gewissermaßen auch für die Balladen; nun erreichte Arany aber gerade in seinen Balladen die höchste Stufe, eine Kunst, tragische Stoffe mit Atmosphäre und markanten Charakteren zu gestalten, die ihn unbedingt in seiner ganzen Größe erscheinen läßt. Davon sollen vier Balladen in diesem Band überzeugen (Klara Zách; Die Barden von Wales; Szondis Pagen; Brückenweihe). Unvergänglich und immer wieder gelesen werden die Balladen und die lyrischen Gedichte, von denen eine Auswahl ebenfalls in diesem Bändchen enthalten ist.

Also war Arany auch Lyriker? Gewiß war er das. Man braucht nur in diesem Band zu blättern, um sich davon zu überzeugen. Auffallend ist dabei nur eins: Die Liebeslyrik ist bei Arany soviel wie nicht vorhanden. Ist das denkbar? Bei einem Dichter, der als Lyriker gelten will? Diese Frage provoziert eine andere: Wollte Arany „gelten”? Sicherlich wollte er das, aber bei der Strenge gegen sich selbst strebte der tiefsinnige Grübler sicher nicht den Rang des Nationaldichters an. Und dennoch wurde er der Nationaldichter, der „ungarische Goethe”, aber gleichsam ungewollt: Ehrung, Förderung, Rang, Titel flossen ihm zu. Zuerst mit Toldi, einer Dichtung, die, an sich vollkommen, zur richtigen Zeit mit seinem volkstümlichen Realismus ins Schwarze der Sehnsucht eines Volkes, eines bäuerisch-adligen Volkes traf -, Toldi ist und bleibt unübertroffen. Der Bauernsohn Arany wurde aus seinem bescheidenen dörflichen Milieu herausgerissen; natürlich sei nicht vergessen: Er hatte sich eine außerordentliche Bildung angelernt und angelesen. (Er übersetzte Shakespeare und Aristophanes, Byron und Burns, Goethe und Béranger usw., alles meisterhaft.) So ist er dann aus seinem Dorf Nagyszalonta zum Mittelschullehrer in die Stadt Nagykőrös berufen worden; auf seinen Dichterruf hin wählte ihn die Kisfaludy-Gesellschaft, die Vereinigung der literarischen Elite, zu ihrem Leiter, und zum Herausgeber einer literarischen Zeitung; die Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitglied, dann zu ihrem Sekretär und schließlich Generalsekretär. Da wohnte Arany bereits seit einiger Zeit in Pest und bezog nun im neuen Palais der Akademie eine Dienstwohnung. Arany erfüllte als Beamter mustergültig die Amtsgeschäfte, auch wenn das auf Kosten seiner Schaffenskraft ging. In all diesen Jahren schrieb er an seinen großen Epen, Balladen und zwischendurch flossen, fast ungewollt, lyrische Gedichte aus seiner Feder. Wieder eine Frage: Tat Arany, ein so bewußter, sorgsamer Dichter, solch ein Meister der Sprache – je etwas ungewollt? Wohl kaum. Aber man muß schon seine Lyrik lesen, um die besinnliche, von Zweifeln geplagte Art dieses ewig mit sich unzufriedenen Dichters kennenzulernen, der sein Leben, seine Werke als Bruchstücke ansah. Wie konnte er dennoch den hohen, ja höchsten Rang in der ungarischen Literatur erlangen? Durch die Sprache, möchte man zu allererst sagen, wobei man Sprache nicht als äußeres Gewand auffaßt. Wie könnte sonst die Sprache Aranys die Wirkung auf seine Zeit und auf Generationen hinaus haben, wenn sie nicht von Geist, einem schillernden, tiefgründigen, obgleich humorvoll volkstümlichen, aber doch nicht simpel realistischen Geist erfüllt gewesen wäre; Arany ist nicht der Dichter, weder in seiner persönlichen noch in seiner Gedankenlyrik, der ohne jede Schwierigkeit dem Leser zugänglich ist. Aranys Gedichte – vielleicht die dramatischen Balladen ausgenommen – eignen sich nicht zum rezitieren. Bei weitem nicht so wie die Petőfis, mit dem er „ein Leib und eine Seele” war, und der ihm auch „Nach dreißig Jahren” unvergeßlich gegenwärtig blieb, und mit dem er sich, im Gegensatz zu den Vorgängern, im Volkstümlichen identisch wußte. Er war es aber nur bedingt. Ihn beherrschte statt der Spontaneität Selbstbesinnung, unbeugsame Moral und ein Hauch Romantik. Allerdings war ihm eine längere Lebens- und Entwicklungszeit beschieden. Er machte mit Petőfi die Revolution von 1848 durch, mußte sich dann aber nach dem Zusammenbruch des Freiheitskampfes mit der absolutistischen Habsburger Herrschaft abfinden. Als dann 1867 mit dem sogenannten Ausgleich die verfassungsmäßige Ordnung in der Monarchie wieder hergestellt wurde, konnten deren Halbheiten Arany nicht passen, er schwieg und vergrub sich in seine Arbeit. Aber der Lyriker schwieg nur zum Schein, der Frühgealterte schrieb seine Herbstblüten in ein verschließbares Buch und ließ nur dann und wann auf Drängen das eine und andere drucken. In Kenntnis dieser Tatsache lese man in diesem Band: In fruchtloser Stunde; Auf dem Jahrmarkt; Unter den Eichenbäumen; Der alte Herr und seine Zither. Und all dem setzt Epilog die Krone auf.

Arany galt und gilt als Klassiker der ungarischen Literatur. Als Vorbild und Maßstab. So wirkte er fördernd auf die nachfolgenden Dichtergenerationen, aber allmählich wirkte er mit seiner Autorität auch hemmend. Erst mit dem Anfang des folgenden Jahrhunderts vermochte sich die ungarische Dichtkunst über Aranys Horizont hinauszuwagen.

Géza Engl

Antwort an Petőfi

Aufgewühltes Herz gleicht einer irren Laute,
allzugroße Freude tut der Seele weh.
Soviel Ehre ich mir selber nie zutraute:
Petőfi zum Freund! Den Lohn ich kaum versteh.

Bei der Preisausschreibung konnt ich das nicht wissen.
Oh, wie glücklich bin ich, daß ich’s doch gewagt!
Daß mein kleines Werk ich doch nicht hab zerrissen,
als ich hoffnungslos darüber saß verzagt.

Oh, welch ein Gewinn! Ich nicht die Taler zähle,
die mich auch verblenden mit dem goldnen Glanz.
Nein, erst die Zugabe hebt mir hoch die Seele,
Deine Hand, die Du mir reichst, beglückt mich ganz!

Fragst du, wer ich bin? Ein Sproß des Volks, ein schlichter,
einer, der nur mit und in dem Volksstamm lebt,
der sein Schicksal teilt, und singt er was als Dichter,
in das Lied des Volkes Wohl und Weh einwebt.

Einmal wollt ich nur ausreißen aus dem Kreise,
doch das Schicksal warf mich an den Straßenrand.
Aber als ich mich zurückschlich still und leise,
unter Dornen ich dann ein paar Blumen fand.

Nöte, Sorgen wurden meine Weggefährten,
fügsam ging ich mit, und war ihr Freund sogar,
wand ich Kränze, sie den Spaß mir nicht gewährten,
rissen mein Gewinde, eh’ es fertig war.

Endlich fand das Glück ich: fand im Haus den Frieden,
Schatz, den man nicht erst zu hüten braucht, und fand
– mehr zu wünschen wagt ich nicht hienieden –
einen treuen Freund, Du weißt, am Iza-Strand.

Jetzt hat gleichsam ein Komet mein Haus getroffen:
Dein Brief brennt und strahlt darin wie heißes Erz.
Richte Tompa aus, du siehst ihn, darf ich hoffen:
Dir gehört vor allem, doch auch ihm, mein Herz.

GÉZA ENGL

An meinen Freund Petőfi

Du redst mir zu, daß ich Gedichte schreib?
Ist ja, du weißt, mein liebster Zeitvertreib.
Nur ist mein Pegasus ein träges Tier,
ich treib ihn an, doch nie gehorcht er mir.

Fast hätt ich gestern ein Gedicht gemacht
und hab es bis zum Federkaun gebracht.
Die Krähe beiß ins Ohr den schlechten Gaul!
Ich sag umsonst ihm: flieg! Er kriecht nur faul.

Heut stülpte ich mir deine Mütze um,
sie flößt vielleicht mir ein Petőfitum.
Ich schmiere aufs Papier „An Ihn” im Flug,
da krächzt die Muse, schnauzt mich an: Genug!

Wozu auch führ ich solches jetzt im Sinn,
wo ich im Innern durcheinander bin.
Ich habe nämlich grade einen Gast,
deswegen bin ich aus dem Häuschen fast.

Ich laufe hin und her ganz ohne Ziel,
im Andrang der Gefühle schon zuviel.
Mein Herzensgast, für den ich all das tu,
ist nämlich groß und niemand sonst als Du!

GÉZA ENGL

Was machen wir?

Ei, was macht ihr, Leute,
dengelt Sensen heute?
Das tun wir mitnichten,
sondern Waffen richten.

Wollt ihr denn mit diesen
Heu mähn auf den Wiesen?
Nein, in Feindsblut tauchen,
dazu wir sie brauchen.

Roter Tau wird fließen,
den die Klingen gießen,
watend in Blutpfützen
wir die Heimat schützen.

GÉZA ENGL

Knechtsseelen

Dies ist nun der Tag der Freiheit!
Dieses überhelle Licht!
Durch die trüben Gitterfenster
unsres Kerkers drang es nicht.
Unsre lichtentwöhnten Augen
blendet diese grelle Glut.
Heim ins Dämmerlicht des Kerkers
laßt uns gehen! Da ist’s gut!

Und dies tosende Gewimmel,
das betäubend uns umbrüllt,
das uns mitreißt wie die Fluten
eines Stroms und überspült!
Dieses fieberhafte Hasten
voller Gier, die niemals ruht!
In die Einsamkeit des Kerkers
laßt uns heimgehn! Da ist’s gut!

Hart und schneidend wehn die Winde
uns hier draußen ins Gesicht,
wenn aus schwarzen Wetterwolken
Blitzgekrach bedrohlich bricht.
Weckt uns dort nur Wetterleuchten,
tötet hier des Donners Wut.
Ach, zurück in unsre Zellen
laßt uns heimgehn! Da ist’s gut!

Hier nur Kampf und harte Arbeit,
Nächte schlaf- und ruhelos.
Hier wird man umhergeschleudert,
– Hoffnung klein, Gefahren groß –
zitternd unter Todesängsten
wie ein Boot in wilder Flut!
Laßt uns heimgehn in den Frieden
unsrer Zellen! Da ist’s gut!

Ach, nun dröhnt Kanonendonner!
Waffenklirren, Feldgeschrei!
Feuerschein, zerfetzte Fahnen!
Blutrausch, Menschenmetzelei!
Fort! Viel lieber laßt uns sterben
dort, wo still versiegt das Blut,
friedlich auf dem Strohsack enden,
ja, im Kerker! Da ist’s gut!

MARTIN REMANÉ

Jahrestag

15. MÄRZ 1850
(ZUR ERINNERUNG AN DEN 15. MÄRZ 1848)

Nun brichst du an! Wer aber schert sich drum?
Wer feiert dich? – Du endest klanglos stumm,
verhängnisvoller Jahrestag!
Das Volk stimmt heut in andre Lieder ein,
gestürzt ist dein Altar! – Mein Herz allein
betrauert dich mit jedem Schlag.

Wie eine fluchbeladne Bürde schwer
ist dieser Jahrestag, denn als ein Meer
von Blut und Tränen zeigt es sich.
Der Mensch ist schwach, ein ewiger Untertan,
der Jünger blickt dich, Meister, ängstlich an,
spürt er Gefahr, verrät er dich.

MARTIN REMANÉ

Toldi

AUFTAKT ZUR EPOPÖE

Wie wenn Hirtenfeuer flackert auf der Heide
in herbsttrüben Nächten leuchtend in die Weite,
wähn ich Miklós Toldis Antlitz zu gewahren
in der Vorzeit gut vor vier-, fünfhundert Jahren.
Seh beim Lanzenstechen den bewährten Kühnen
auch in blutgen Schlachten die Gestalt des Hünen,
höre seine Stimme wie den Donner rollen,
jeder würd heut glauben, es sei Gottes Grollen.

Wo es Not am Mann war, kannte er kein Weichen,
nirgends auf der Welt gibts heute seinesgleichen.
Käm zu euch er wieder, stärken eure Reihen,
hieltet ihr sein Tun für Spiegelfechtereien.
Nicht einmal zu dritt könnt ihr sein Streitbeil schwingen,
werfen seine Steine, keinem würd’s gelingen.
Wer bloß seinen Schild säh, deucht’ sich für verloren,
oder an den Stiefeln, die er trug, die Sporen.

GÉZA ENGL

Ich lege meine Laute nieder

Ich lege meine Laute nieder,
stumm ruhe sie in Zukunft hier.
Ich bin nicht mehr, der ich gewesen,
mein beßres Ich erstarb in mir.
Ein falsches Licht ist nur das Feuer,
die Wärme schwand, verschwelte ganz…
Wohin bist du entflohn, entschwunden,
du meiner Seele Jugendglanz?

Es lächelte ein andrer Himmel,
die Erde war in Samt gehüllt,
aus jedem Strauch drang Vogeljubel,
als diesen Mund Musik erfüllt.
Der Abendwind war voller Würze,
reicher der Wiesen Blütenkranz…
Wohin bist du entflohn, entschwunden,
du meiner Seele Jugendglanz?

Ich sang nicht einsam, so wie heute,
oft glühten meine Saiten heiß
im Wettstreit mit dem Freund, der sorgend
auch um die Kunst des andern weiß.
Feuer entbrannte so an Feuer,
verwebte sich zum Flammentanz…
Wohin bist du entflohn, entschwunden,
du meiner Seele Jugendglanz?

Wir sangen von der Zukunft Hoffnung,
beweinten auch vergangnes Leid,
und mit dem Kranz des Ruhms umgaben
wir unsre Heimat jederzeit.
Und jedes Lied flocht sich als frisches
Blatt in des Vaterlandes Kranz…
Wohin bist du entflohn, entschwunden,
du meiner Seele Jugendglanz?

Wir sahn im Geist auf unsren Gräbern
sich widerspiegeln Ruhm und Ehr,
wir träumten uns ein Volk, unsterblich,
das stolz auf seine Dichter wär!
Wir glaubten, wenn es uns gebühre,
gäb man uns auch den Lorbeerkranz…
Wohin bist du entflohn, entschwunden,
du meiner Seele Jugendglanz?

Was seid ihr jetzt, ihr armen Klänge?
Die Seelen toter Melodien,
die aus dem Friedhof wie Gespenster
noch nach dem Tode geisternd ziehn.
Vielleicht die Stimme in der Wüste,
ein Leichentuch, ein Totenkranz…
Wohin bist du entflohn, entschwunden,
du meiner Seele Jugendglanz?

Ich lege meine Laute nieder.
Sie wiegt zu schwer. Wen kümmert auch
das Lied? Wen freut die welke Blüte
am toten Ast, am dürren Strauch?
Wenn eines Baumes Leben endet,
Erstirbt auch bald die Blüte ganz…
Für alle Zeit bist du entschwunden,
Du meiner Seele Jugendglanz!

ANNEMARIE BOSTROEM

Meine Hoffnung

Meine Hoffnung ist ein Nachen
ohne Ruder, ohne Mast.
Sturm und Woge jagt den schwachen
Kahn umher, ohn’ Ruh und Rast.

Muß ins Ungewisse treiben
immer, wie es will der Wind.
Er kann meinen Schmerz betäuben,
wiegt er mich doch wie ein Kind!

Bin von Freiheitsluft umfächelt,
wenn ein Regenbogen blinkt,
meiner Phantasie zulächelt
und in ihrem Meer versinkt.

Drum voran auf wilder Welle,
treib der Freiheit zu mein Boot,
ob ich auch am Riff zerschelle,
wo sich treffen Traum und Tod!…

MARTIN REMANÉ

Im Herbst

Naßkalter Herbsttag, hoffnungslose Trauer…
Schon kriecht mir Langeweile ins Gemüt.
Dem Vogel gleich, der stumm in seinem Bauer
gefangen sitzt, so schweigt jetzt auch mein Lied.
Was tun?… Kann. Lesen Heiterkeit mir bringen?
Homer?… dem ewige Sonne Zeus beschied?…
Nein! Ossian komm, laß du für mich erklingen
dein rauhes, nebelgraues, düstres Lied!

Ein Land, dem stets der Himmel strahlend lächelt,
ein blaues, spiegelglattes Meer, das mild
von linden Lüften friedlich ist umfächelt,
ach, schmerzen würde mich jetzt dieses Bild!
Der Berge Grat im violetten Schleier,
ein goldnes Schiff, von Purpurschaum umsprüht…
Nein! Ossian, komm, mir frommt jetzt deine Leier!
Sing mir dein nebelgraues, düstres Lied!

Der Hügel mit der Zeus geweihten Stätte,
sichtbar von fern den Fischern auf dem Meer,
die immer grüne, blumige Inselkette,
umrauscht von Wellenschaum… und rings umher
bekränzt von Pinien, die saftigen Weiden,
die Lämmerherde, die darüber zieht…
Nein! Ossian, dieses Bild macht mich nur leiden!
Sing mir dein nebelgraues, düstres Lied!

Rauch lagert über den Olivenhainen,
lädt gastlich ein zu einem Festgelag.
Ein Held wird da geehrt im Kreis der Seinen,
die Opferfeuer lohn an solchem Tag.
Bei Lautenklängen rund im Tanze schwingen
sich munter Weib und Mann, im Rausch erglüht.
Der Becher kreist… Nein, Ossian, laß erklingen
dein rauhes, nebelgraues, düstres Lied!

Wo immer auch noch blutige Schlachten toben,
des Nordens Volk bangt nicht um Freiheit mehr.
Da gibt es längst kein Unten und kein Oben,
da feiert Knechtschaft keine Wiederkehr!
Gesetze kann man dort – welch Glück! – entbehren!
Nur was jeweils der Alten Rat entschied,
das gilt als Recht!… Ja, Ossian, laß mich hören
dein rauhes, nebelgraues, düstres Lied!

Kurz sind des Nordens karge Sommerfreuden.
Nun haucht Natur auch hier den Odem aus.
Still, ohne Wunder, schweigend ist ihr Scheiden,
ganz ohne Sonnengruß und Sturmgebraus.
Verstummt sind Lerchen, Arnseln, Nachtigallen,
der Himmel weint, was Flügel hat, entflieht.
Ja, Ossian, ja, laß du jetzt laut erschallen
dein rauhes, nebelgraues, düstres Lied!

Eintönige Todesstille, Friedhofsschweigen…
Kein Tag, der nicht in fahler Nacht zerfloß.
Der Himmel grau, kein Grün mehr an den Zweigen,
der Erde Horizont wie grenzenlos!
Die Wolken weinen aus all ihre Tränen,
bis ihre letzten Tropfen sind versprüht
und ganz versiegt sind… Ossian, laß ertönen
dein rauhes, nebelgraues, düstres Lied!

Hilf mir, sterblichen Ruhmes Lautenschläger,
den Überdruß der Seele zu zerstreun,
mir, der verebbten Schlachten Fahnenträger,
flößt jetzt der finstre Himmel Tröstung ein,
und mahnt an dich, der tapfer schwang die Klinge,
als letzter hoffnungslos im Kampf verschied.
Sei mir gegrüßt! Held Ossian, singe, singe
dein rauhes, nebelgraues, düstres Lied!

Dein Wolkenheer, des Sturms gewaltige Flügel,
das Laub, das Flattergras, verwelkt im Hag,
die Eiche, einsam auf dem Felsenhügel,
Irrlicht des Nordens, Blitz und Donnerschlag,
nach all dem sehnt sich meine Seele heute!…
Vom Volk, das in Vergessenheit geriet,
sich selbst verlor… sing, Ossian, sing ins Weite
dein rauhes, nebelgraues, düstres Lied!

Dumpf hallt ein Ruf, wenn die mit ihren Ahnen
vereinten Reckenseelen in der Nacht
erscheinen zwischen schwarzen Wolkenfahnen:
„Ossian, Ossian, verloren ist die Schlacht!
Ossian, hör auf, der Toten Schlaf zu stören!
„Ossian, gib Ruh! Es lebt kein Volk, kein Mann
in Caledonien mehr, um dich zu hören,
kein Held, den noch dein Lied entflammen kann!…”

MARTIN REMANÉ

Familienkreis

Abend ist es, Abend, Frieden rings und Stille,
schwarz das Maulbeerlaub in seiner frischen Fülle,
Käfer surrt dem Licht zu, prallt an alle Wände,
hier und dort ein Knall, dann ist sein Flug zu Ende.
Als ob Ackerschollen plötzlich Füße hätten,
kollern, humpeln durch das Dunkel plumpe Kröten.
An die Traufe streifen graue Fledermäuse,
und die Eule ächzt im alten Turmgehäuse.

Dort vom Hof her schimmert weiß das Fell der Kuh,
frisch gemolken strebt sie ihrem Stalle zu.
Sie ist fromm und zahm und wiederkäut geduldig,
bleibt ihr Kälbchen auch an Stößen ihr nichts schuldig.
Eine Katze schleicht behutsam durch die Wege,
mag nicht Käfer fangen, ist dazu zu träge,
schaut sich um, bleibt stehn, als fiel’ ihr etwas ein,
und mit einem Satz huscht sie ins Haus hinein.

Und der Schein des Herdes flackert auf der Schwelle,
offen steht die Haustür, Gäste heischt die Helle.
Doch der Köter liegt da bäuchlings vor der Türe,
er paßt auf, daß keiner unerlaubt sich rühre.
Drinnen seiht die Hausfrau Milch in einen Krug,
und ihr Jüngster bettelt gleich um einen Schluck.
Dann setzt sie sich fröhlich zu der Kinderschar,
Mondschein unter Sternen, zärtlich hell und klar.

Reisig legt ein Mädchen nach. Sogar von fern
sieht man, daß sie schön ist wie der Morgenstern.
Sie, die Älteste, muß für ihr Kleid noch sorgen,
plätten will sie es, denn Feiertag ist morgen.
Und die Kleinen, wie mit flinken Katzenpfoten,
lesen, Märchen lauschend, Bohnen aus und Schoten,
lassen dann die Schalen fein im Feuer knistern,
das gibt Jubel jedesmal bei den Geschwistern.

Einer hat noch Brot zu knabbern angefangen,
nimmt sich auch mal Glut und zeichnet Feuerschlangen.
Dort, der Große liest und scheint auf nichts zu hören,
er wird einmal Pastor, das kann ich beschwören!
Wenigstens hat das sein Vater so gedacht,
wenn der Sohn sich auch nichts aus Gebeten macht,
er liebt eher schöne Verse oder Lieder
und versucht sich daran selber hin und wieder.

Endlich kommt der Bauer, draußen klirrt die Hacke,
an den Nagel hängt er Ranzen dann und Jacke,
und das kleine Völkchen forscht darin mit List,
ob ein Stückchen Hasenbrot zu finden ist.
Rasch ein Griff, da fängt das Kind schon an zu schrein:
Au, ein Teufel! – Nein, das muß ein Häschen sein!
Glaubt mir, daß vor Freude keiner schlafen kann!
Alle bieten Möhren und Salat ihm an.

Freundlich guten Abend wünscht der Hausherr nun,
setzt sich, um die müden Glieder auszuruhn,
trocknet sich die Stirn und blinzelt in das Licht,
tief gefurcht vom Lebenspflug ist sein Gesicht.
Doch als er sich umsieht unter seinen Kindern,
scheinen sich die Falten gleichsam zu vermindern,
taucht die Sorgenbanner-Pfeife in die Glut,
schmaucht und lacht die Frau an, ja so ist es gut.

Doch die brave Hausfrau ruht nicht unterdessen,
sie bereitet ihrem Mann das Abendessen.
Rückt den großen, schweren Eßtisch in die Mitte,
trägt das schlichte Mahl ihm auf nach alter Sitte.
Sie und auch die Kinder sind nicht hungrig mehr,
doch der Vater bittet: „Kommt doch alle her,
denn es schmeckt gemeinsam besser, möcht ich meinen.”
Und er teilt das Huhn und gibt davon den Kleinen.

„Wer mag draußen klopfen? Tochter, sieh mal nach.
Irgend so ein Armer bittet um ein Dach.
Liebe Sara, willst du ihn nicht zu uns führen?
Hat genug gelitten vor verschloßnen Türen.”
Und das Mädchen ruft den Fremden schnell herein,
‘s ist ein Kriegsversehrter mit gelähmtem Bein.
„Segne Gott die Mahlzeit so wie die der andern!
Dank Euch muß ich heute nicht mehr weiterwandern.”

Und der Bauer fragt ihn: „Eßt Ihr mit vielleicht?
Füll die Schüssel, Mutter, wenn es nicht mehr reicht.”
Sich zu setzen lädt er höflich ein den Mann,
dieser zögert erst, dann nimmt er gerne an.
Ihren Hunger stillt der Napf mit Fleisch und Wurst,
und ein Krug mit frischem Wasser löscht den Durst.
Während ihrer Mahlzeit herrscht im Raume Schweigen,
wie es von Natur aus schon den Ungarn eigen.

Aber als das Abendessen dann vorbei,
löst sich auch des Bettlers Zunge. Frisch und frei
geht die Unterhaltung, munter wie ein Bach,
und der Redefluß läßt lange nicht mehr nach.
Wenn er von den blut’gen Freiheitskriegen spricht,
scheint sein Herz zu flammen, zittert sein Gesicht.
Er erzählt von jenen – und die Tränen fließen -,
die mit ihm als Bettler einst ihr Land verließen.

Er erzählt von Heimweh, das sein Herz beschwerte,
von dem bittern Weg, bis er nun doch heimkehrte.
Und die andern lauschen seinen Worten stumm,
doch die Tochter müht sich ganz besonders drum,
als es keiner merkt, geht rasch sie zu ihm hin,
und errötend fragt sie nach dem „Bruder” ihn.
Seit drei Jahren stellt sie diese Frage bang,
wartet noch ein Jahr, bleibt noch allein solang.

Abend ist es, Nacht – das Feuer flammt nicht mehr,
zwinkert wie aus fahlen Wimpern blaß und leer,
und die Kinder gähnen, eines schläft schon warm,
mit geneigtem Köpfchen, auf der Mutter Arm.
Alles hängt den eigenen Gedanken nach,
nur die Katze schnurrt, sie wird nun langsam wach.
Auch dem Gast bereitet man das Lager gleich,
und ein Heimchen übernimmt sein stilles Reich.

ANNEMARIE BOSTROEM

Was ist die Welt?

Was ist die Welt? Ein schlechter Wagen,
kommt schwer vom Fleck bei all den Plagen.
Mal hier ein Bruch, mal dort ein Riß,
die ganze Fahrt ist ungewiß.

Was ist die Welt? Ein alter Dolman,
und solchen Plunder tragen soll man?
Ihn putzen, flicken lohnt sich nicht,
das Garn zerreißt, die Nadel bricht.

Was ist die Welt? Am Bach die Mühle.
Mal fließt ihr Wasser zu, die Fülle,
mal zehrt die Dürre auf das Naß,
ein ruhiges Mahlen -, kennt sie das?

Was ist die Welt? Ein Leierkasten,
der greint und kreischt und kennt kein Rasten.
Und fällt mal aus vom Lied ein Ton
beim alten Ding -, wen kümmert’s schon.

Was ist die Welt? ‘ne üble Kneipe,
drin sommers, winters keine Bleibe.
Mal ist’s zu kalt, mal ist’s zu heiß,
was ich dort treib? Der Teufel weiß.

Nein, diese Welt, weil meist besoffen,
hat nie den rechten Weg getroffen.
Und wagt sie einen Sprung mal keck,
dann liegt sie bald erst recht im Dreck.

GÉZA ENGL

Auf dem Friedhof

Hier ist das stille Gräberfeld,
wo Pietät die Wache hält,
sie schützt den Schlaf der Toten.
Die Hügel grünen in der Au,
die Nachwelt zahlt den Zoll genau
auf wohlbestelltem Boden.

Wohl ein Jahrhundert ist es jetzt,
seitdem man hier die Bäumchen setzt,
die mit den Blütenkerzen.
Grabkreuze werden aus dem Wald,
sie mehren sich erstaunlich bald,
so wie gebrochne Herzen.

GÉZA ENGL

Rückblick

Hab gelebt… kann man das sagen?
Seit dem Tag, da es begann,
mußte ich mich ewig plagen,
daß ich Lebenslust gewann.
Ach, seit mich die Amme setzte
in mein schwankes Lebensboot
und aufs Meer, das sturmzerfetzte
schickte -, kenne ich nur Not!

Als der Himmel mich erblickte,
hing er grau und regenschwer.
Ehe mir ein Lächeln glückte,
konnt’ ich weinen umsomehr.
Freuden schmeckten mir meist bitter,
ließ manch einen Becher stehn,
um dann wieder wie durch Gitter
nach erträumtem Glück zu spähn.

Manchmal langte ich hinüber,
pflückte eine Rose scheu.
Freute ich mich kaum darüber,
fiel die Blüte ab dabei.
Suchte dann auf allen Wegen,
bis ich eine andre fand.
Sah sie freundlich mir entgegen,
hab ich stumm mich abgewandt.

Freiheit nur war mein Begehren
trotz der Fesseln, die ich trug,
wollt’ den Kampf mir nicht erschweren,
war mein Los doch hart genug.
Glich dem Wild, das seine Schlingen
will zerreißen, dem nicht glückt,
aus dem Fangnetz zu entspringen,
und nur tiefer sich verstrickt.

Träume, die mich einst verbanden
mit der Welt, wie Nebel sind
sie zerstoben und entschwanden ach,
so bald verweht vom Wind.
Meiner Jugend hohe Ziele:
Rauch, der in die Ferne floh!
Hoffnung, Inbrunst der Gefühle,
meine Welt, wo ist sie, wo?…

Sterben! Doch dies selbst zu wagen,
fehlte mir der Mut bis heut.
Bin nicht stark genug, zu tragen
dieses Lebens Last und Leid.
Wer, wer nimmt sie mir vom Rücken?…
Doch halt aus, mein Herz! Ich kann
noch ein letztes Licht erblicken,
und das leuchtet mir voran.

Ja, du bist es, Himmelsleuchte,
du, der Liebe holder Schein,
der mir oft zum Trost gereichte,
du, du läßt mich nicht allein,
guter Mond, wirst mich begleiten,
bis zum Grab ist’s nicht mehr weit,
wirst den Schleier drüber breiten,
läßt mich ruhn dort, frei von Leid.

MARTIN REMANÉ

Gedenkverse
ERINNERUNGEN AN PETŐFI

I

Du, der mir immer wieder
in düstrem Traum erscheint,
ach, daß kein Stein sich findet,
der, wo du ruhst, uns kündet,
mein früh verlorner Freund!

Man sagt, du lebst noch immer,
doch scheint’s nur ein Gerücht!
Man sagt, du kehrst einst wieder
und singst uns deine Lieder,
ich aber glaub es nicht.

Dein Sterben zu gestehen,
wagt man nicht, weil dies Wort
gewiß zu Tod betrüben
möcht alle, die dich lieben.
Drum lebt der Wunschtraum fort.

Und diese Hoffnung gibt man
noch allzu ungern auf.
Versinkt sie, in der Ferne
wie trügerische Sterne
steigt sie erneut herauf.

Ihr trüben Traumgestalten,
darin dein Bild mir naht,
Gespenstern gleicht ihr matten
dem Grab entstiegne Schatten,
bringt Leben nicht noch Tat!

II

Kein Hügel ist errichtet,
wo deine Asche ruht,
kein Kreuz in weiter Runde,
kein Grab, kein Stein gibt
Kunde von deinem Heldenmut.

Wo ist, ihr Töchter Ungarns,
Antigone, die heut
ein Grab für ihn aufschichtet,
ein Mahnmal ihm errichtet
und Blumen darauf streut?…

III

Im Schoß der Erde ruht er längst, der Held,
wo ihn kein Angsttraum mehr wie einstmals quält.

Nichts fühlt sein Herz mehr, das so viel empfand,
er schläft in Frieden, den er nie gekannt.

Kein Fieber mehr, des Aufruhrs heilige Lust,
halb Prophetie, halb Wahn, durchtobt die Brust.

Sein Hirn, das Zeit und Zukunft übersprang,
ist eine Handvoll Asche nun schon lang.

Ach, er gehörte nicht in diese Welt!…
Ein Trost, der meinen Schmerz in Grenzen hält.

Die Träne brennt nicht mehr, rollt sie hinab.
Ich bin getrost, ich trockne sie nicht ab.

Oft, wenn des Himmels Licht erloschen ruht,
dann fühl ich flammen seines Geistes Glut.

Durch’s offne Fenster schwebend naht er leis,
die Stirn mir streichelnd, die gedankenheiß.

Und wenn ich also seine Nähe spür,
dann frag ich selbstvergessen: Bist du hier?…

Erkenn ich dann erstaunt auf meinem Blatt
ein Wort gar, das er selbst geschrieben hat,

dann rufe ich: Dies Wort ist nicht von mir!
Viel stärker ist es, als die andern hier!

Ich segne seine Geisterhand und sag:
Erinnerung, kehr wieder, Tag um Tag…

MARTIN REMANÉ

Aufklang zu Prinz Csaba*
(BRUCHSTÜCKE EINER HUNNENSAGE)

* sprich Tschaba

Schau ich in das Dunkel, Dunkel finstrer Nächte,
als ob ich der Urzeit Rätsel lösen möchte,
schau ich, schau ich lange, schau versonnen, starr:
weichen Nacht und Nebel, und ich sehe klar:
längst versunkne Bilder einstiger Gestalten,
wie im Leben wieder schalten sie und walten,
Hunnen, junge braune Recken hoch zu Roß,
hör die Pfeile schwirren, seh den mächtigen Troß.
Nun sind sie versammelt schon zum frohen Mahle,
leeren Becher Stutenmilchweins viele Male,
singen auch, ich hör es, fröhlich sind sie heut,
gegenwärtig wird mir die Vergangenheit.
Auch Jagdhörner hör ich in den Wäldern hallen,
seh erlegte Hirsche, doch auch Mannen fallen,
denn die Kriegsposaune ist es, die jetzt schallt,
Pferde, Ohren spitzend, Helden mit Gewalt
stürzen auf den Feind sich mit des Windes Eile,
bis der Staub verfliegt, es dauert eine Weile,
eh’ die Schar vom Heldennachwuchs kommt in Sicht,
aber nicht des Etzels düstres Angesicht.
Dieses seh ich nur vom Hunnenfriedhof winken,
denn der Hunnen Sonne ist bereits im Sinken.
Braungelockter Csaba, blond ist Aladas,
ringen um die Macht, die Vater Etzels war.
Doch nun währt der Kampf schon in des Kelems Ländern.
Wird das Kriegsglück sich bis zum Mondwechsel ändern?
Csaba blieb allein verschont vom Untergang,
einziger Stern am Himmel, leuchte er mir lang…
Soll ich wagen, meine Feder noch zu schwingen?
Schreiben, was mir vorschwebt, wird es mir gelingen?
Bis des Lebens Gipfel ich erklommen hab,
ging es immer aufwärts, nunmehr gehts bergab.
Meinen Pfad, den langen, kann ich überblicken,
Sonnenschein und Trübnis wechselten in Stücken,
doch was noch bevorsteht, liegt in Wolken schon,
wer weiß, welche Tücken meinem Abstieg drohn?
Wer weiß, wenn ich stolpre, was noch folgt im weitern?
Aus dem Unterfangen wird ein kläglich Scheitern.
Weil ich nie bestiegen hab den höchsten Berg,
ist die Mühe müßig, Bruchstück bleibt mein Werk?
Und wenn, armer Mann, ich doch hinstreb zum Ziele,
ob ich nicht zuvor noch in die Ohnmacht fiele?
Was ist’s, was mich antreibt, dennoch Mut mir macht?
Eine innere Stimme, auf die geb ich acht.
Sie ist’s, die dem Vogel zwitschert die Befehle,
daß er im Spätsommer neu zu baun nicht fehle
sein zerstörtes Nest, und ebenso die Spinne
ihr gerißnes Netz doch immer neu beginne.
Lauter tönt das Machtwort in des Dichters Leib:
„Wenn auch spät, wenn brüchig, unverlangt – du schreib!”

GÉZA ENGL

Klara Zách *

(SO SANG EIN SPIELMANN IM 14. JAHRHUNDERT)

* Zách sprich Satsch

In dem königlichen Garten
sind erblüht im Morgenschein
weiße Rosen, rote Rosen…
Blondes Mädchen, wärst du mein!…

„Königin, gestrenge Schwester,
ach, inständig bitt ich dich:
Laß mir doch die rote Rose,
ganz verliebt in sie bin ich!

Fühl mich krank, wenn ich dran denke!
glaub, daß mir das Herz noch bricht!
Soll ich wegen einer Blume
sterben? – Sag, das willst du nicht!” –

„Schweig, ich kann sie dir nicht lassen!
Schäm dich, Bruder Kasimir!
Schweig, bevor ich zornig werde!
Geh, und zügle deine Gier!

Muß zur heiligen Messe gehen,
hab es eilig! – Bist du krank,
lege dich ein Stündchen nieder
hier auf meiner Polsterbank.”

Ging die Königin zur Messe,
ließ ihn stehen ohne Gruß,
winkte nur noch ihren Jungfraun
ihr zu folgen auf dem Fuß.

Wollte in der Kirche beten,
seufzte plötzlich, ratlos schier:
Hab den Rosenkranz vergessen,
nun, ein Mädchen holt ihn mir…

„Klara, lauf zurück zum Schlosse,
hol den Rosenkranz geschwind!
Auf dem Schemel, auf dem Sofa
findest du ihn wohl, mein Kind!

Klara lief, den Kranz zu holen,
hatte nichts als dies im Sinn.
In der Kirche ungeduldig
wartete die Königin.

Eine Stunde war vergangen,
Klara, ach, wo gingst du hin?
In der Kirche ganz vergeblich
wartete die Königin.

Klara ließ sich bei der Herrin
und den Jungfraun nicht mehr sehn.
Lieber auf dem Friedhof liegen
wollt’ sie, als dorthin zu gehn!

Lieber bei den Toten ruhen!
Leichter wär die Erde da!
Als zum greisen Vater gehen
und gestehen, was geschah…

Doch sie ging… Der Vater fragte:
„Bist so blaß! Sag, was dir fehlt!
Komm an meine Brust, laß hören,
was dir zustieß, was dich quält!”

„Väterchen, ich hab gesündigt”
– sprach sie -, „ach, was wird aus mir?
Laß mich knien zu deinen Füßen!
Strafe mich, stoß mich von dir!”…

Mittag war es, und die Glocke
lud im Schloßhof ein zum Mahl,
als der greise Vater Klaras,
Felician, trat in den Saal.

Aber nicht nach Tafelfreuden
stand dem grimmen Greis der Sinn.
Mit gezücktem, scharfem Schwerte
trat er vor die Königin.

„Rache!” – rief er – „für die Tochter!
Kupplerin, fahr hin ins Grab!”
Doch der Hieb, er ging daneben,
schnitt ihr nur vier Finger ab.

„Tod!” – rief er – „Tod euren Söhnen
für mein Kind, das Ihr entehrt!” –
Da sprang Gyulafi dazwischen,
schlug ihm aus der Hand das Schwert.

„Wache! Wache!” – schrie der König.
„Cselenyi, ergreif den Mann!”
Und fürwahr in Stücke schlugen
sie den alten Felician.

„Teure Gattin” – sprach der König -,
„ach, vier Finger fehlen dir!
Sollst sie nicht umsonst betrauern!
Sag, was wünschst du dir dafür?”…

„Wünsche für den Zeigefinger
seiner Tochter Tod zum Lohn,
und für meinen Mittelfinger
sterbe sein erwachsner Sohn!

Meine anderen zwei Finger
wären nur dadurch gerächt,
wenn man gnadenlos ausrottet
gänzlich Felicians Geschlecht!”

Böse Zeiten! Böse Zukunft
kündet uns der Sterne Stand!
Möge Gott davor bewahren
unser armes Ungarnland!…

MARTIN REMANÉ

Szondi’s Pagen

Die Burg von Dregel in Wolken gehüllt,
der Kampftag versinkt in rötlichem Glanze,
vergoldend den Berg… welch freundliches Bild!
Und hoch auf dem Gipfel – bewimpelt die Lanze…

Zwei Jünglinge knieen neben dem Speer,
der gleich einem Marterpfahl aufragt dort oben.
Im Tale begehen Ali und sein Heer
ihr Siegesfest… hört, wie sie schreien und toben!

„Wo bleiben die Sänger? Herab mit euch zwei’n,
ihr sollt uns mit eurer Laute beglücken,
um Lieder gleich Perlenschnüren zu reih’n,
die würdig, den Hals einer Huri zu schmücken!”

„Dort flattert der Wimpel hoch über dem Grab
des Giauren-Fürsten… Als letzte der Seinen:
das singende Sängerpaar… kommt nicht herab…
Sie schlagen, sie schlagen die Laute und weinen.”

… Da stieg nun der Priester Martin herauf,
Ali hat die Botschaft ihm mitgegeben:
„Held Szondi, gib deinen Widerstand auf!
Hier wird ja kein Irdischer überleben!…”

„Ihr Junker, kommt mit mir, eh es zu spät!
Ihr singt hier umsonst und nur für den Toten!
Dort unten erwartet euch süßer Scherbett,
und mancherlei Lustbarkeit wird euch geboten!”

„Geh, Martin -, sprach Szondi – und sag deinem Herrn:
Dem Pascha wird Szondi sich niemals ergeben!
Der Gnade Christi ergibt er sich gern,
in seine Hände nur legt er sein Leben!”

„So hört Junker: All das, was hervorbringt das Reich
des großen Sultans an Freuden harrt euer!
Die leckersten Früchte kredenze man
euch zu unseres Feldherrn Siegesfeier!” –

Umsonst!… Da ergrimmte der Heide und sprach:
„Kanonen und Mörser!”… Die Festung erbebte
im höllischen Hagel, das Mauerwerk brach,
erschlagen lag alles was da noch lebte.

„Ihr edlen Knaben, gleich wird, o seht,
die Sonne im purpurnen Kaftan versinken.
Kalt weht schon der Nachtwind! So kommt eh’s zu spät,
eh der Mond aufgeht und die Sterne blinken!”

Da ließ Held Szondi, was wertvoll noch war,
im Hof auf dem Scheiterhaufen verbrennen,
erdolchte zum Schluß die Rosse sogar!
Wollt’ keine Beute den Feinden gönnen!

„Und dann geschah es!… „Held Szondi fiel!
Ali ließ ihn auf dem Hügel begraben.
Da ruht er… Erreicht hat Ali sein Ziel!
Besingt nun ihn! Mag am Ruhm er sich laben! …”

Zwei Sänger hatte Held Szondi – er ließ
sie beide in samtne Gewänder kleiden.
Sie sollten mit ihm – sein Kummer war dies –
in schäbigem Wams nicht den Tod erleiden!

„Er wollte, daß ihr zu Ali solltet gehn,
und sagte: Dort werdet ihr nichts vermissen.
Kein Wind wird durch sein reiches Zelt wehn!
Dort ruht ihr, seid dankbar, auf weichen Kissen!”

Doch er wollte kämpfen!… Da stand er allein
wie eine Bastei auf zertrümmerter Schanze,
und mähte die Feinde in endlosen Reih’n,
in der Rechten das Schwert, in der Linken die Lanze.

„Er stritt wie Rustam! zurück wich er nie.
Ich hab es gesehn, wie er hinsank in Ehren!
Ich sah, wie die Kugel zerschmettert sein Knie…
Doch still! Ali darf nichts davon hören!”

Wie Geröll im Sturzbach bedeckten den Berg
die blutenden Leichen erschlagener Heiden!
Als Held triumphierend auf diesem Bollwerk
fiel Szondi, gewillt, den Tod zu erleiden!…

„Genug jetzt! Genug! Diesen Lobegesang
auf einen Giaur laßt niemanden hören!
Die Peitsche Alis, die Folterbank,
sie werden euch schnell Verschwiegenheit lehren!”

Herrgott, laß erblinden den Bösewicht,
und laß diesem Mörder verdorren die Hände!
Erbarme dich solch eines Elenden nicht,
der schuldig sich machte an Szondis Ende!…

MARTIN REMANÉ

Die Barden von Wales

Es reitet König Eduard
im Schritt auf seinem Falben.
„Was ist sie wert, die Landschaft Wales?
Man zeig mir’s allenthalben.

Gibt’s fette Äcker, saft’ges Gras,
auch Wald und firische Quellen?
Ob auch der Boden fruchtbar ward
vom Blute der Rebellen?

Und ob das Volk, das biedere Volk
sein Glück darauf gefunden,
wie ich es will, so brav und still
wie Vieh, ins Joch gebunden?”

„Wales ist fürwahr der schönste Stein
in deiner Königskrone.
Das weite Feld zeigt, gut bestellt,
daß sich die Mühe lohne.

Und auch das Volk, das arme Volk,
lebt glücklich hier, Majestät,
wenn längst auch blind die Hütten sind
und wie die Gräber öd.”

Es reitet König Eduard
im Schritt auf seinem Falben.
Wohin er ritt, wohin er schritt,
war Stille allenthalben.

Er kam nach Burg Montgomery,
als schon die Sonne sank.
Montgomery, der Herr der Burg,
kredenzt ihm Speis und Trank.

Und Wild und Fisch kam auf den Tisch,
erlesne Leckerbissen.
Der Diener Schar, wohl hundert gar,
hat schwer dran schleppen müssen.

Und was man fand in diesem Land
für fürstliche Gelüste,
trug man herein, auch Sekt und Wein
von ferner Meeresküste.

„Ihr Herrn, und keiner hebt für mich
sein Glas nach alter Art?
Waliser Hunde seid ihs doch,
kein Hoch für Eduard?

Steht Wild und Fisch auch auf dem Tisch,
was Aug und Mund behagt,
ich sehe hier, daß alle ihr
den Teufel im Herzen tragt.

Elende Hunde seid ihr doch!
Kein Hoch klingt an mein Ohr?
Wo ist, der meine Taten rühmt?
Ein Barde trete vor!”

Die Herren sahn sich schweigend an,
die Gäste jäh erblichen,
auf ihrem Antlitz war der Zorn
der blassen Furcht gewichen.

Die Stimme bricht, das Wort erstickt.
der Atem scheint zu stocken.
Wie eine weiße Taube erhebt
ein Greis sich mit weißen Locken.

„Hier ist, der deine Taten rühmt.
Hör zu”, spricht der Ergraute;
Geklirr von Stahl und Todesqual
entlockt er seiner Laute.

„Geklirr von Stahl und Todesqual,
blutrot der Sonne Bahn,
Blutstrom verlockt des Nachts sich das Wild,
König, das hast du getan!

Tausende hast du niedergemäht
wie Garben, Mann neben Mann.
Verzweiflung, Tränen überall,
König, das hast du getan!”

„Auf den Scheiterhaufen! Ein böses Lied!”
Hört man den König schrein.
„Ich wünsche sanfteren Gesang!”
Ein junger Bard tritt ein.

„Es säuselt sanft der Abendwind
her von der Milford-Bucht.
Er bringt der Waisen Jammerschrei:
König, du seist verflucht!

Gehier nicht, Frau, und still kein Kind
zum Sklaven für dies Reich…”
Ein Wink – und er wird abgeführt
mit jenem Greis zugleich.

Doch kühn und ungerufen stellt
ein dritter Sänger sich hin.
Sein Saitenspiel hat Klänge viel,
sein Wort nur einen Sinn:

„Die Besten fielen in der Schlacht –
vernimm das, Eduard -,
es lebt kein Barde, der dich rühmt
nach guter alter Art.

Noch unvergessen brennt der Schmerz,
vernimm das, Eduard.
Ein Fluch auf dich ist jedes Wort,
das hier gesungen ward.”

„Das wird man sehn”, kam der Befehl,
und alle ringsum erstarrten.
„Auf den Scheiterhaufen mit jedem Rebell,
mit jedem Waliser Barden!”

Und auseinander stob der Troß
mit dem Befehl im Lande.
So spielte sich das Festmahl ab,
Montgomerys Schmach und Schande.

Und Englands König Eduard sprengt
fort auf seinem Falben.
Rundum in Brand das ganze Land,
es lodert allenthalben.

Fünfhundert Barden, jung und alt,
den Scheiterhaufen betraten,
nicht einer war dazu bereit,
zu preisen Eduards Taten.

„Ha, ha, wer schreit? Was für ein Lied
auf Londons Straßen man hört?
Aufhängen laß ich den Lord Mayor,
wenn ein Geräusch mich stört.”

Still wird’s sofort an jedem Ort
aus Angst vor strengen Strafen.
Den Tod bringt schon ein lauter Ton!
Der König kann nicht schlafen!

„Ha, Pfeifen, Trommeln, Musik herbei
und schmetternde Posaunen!
Laßt nicht das Festgelag von Wales
den Fluch ins Ohr mir raunen!”

Doch über Pfeifen und Trommeln hinweg
und durch das Hörnerklingen
hört man fünfhundert Barden laut
das Lied der Märtyrer singen.

ANNEMARIE BOSTROEM

In der Einsamkeit

Der Puls der Uhr tickt träge an der Wand,
unmeßbar dehnt die Zeit sich immer länger.
Es wacht die Sorge um das Vaterland
und zieht die Furchen auf den Stirnen enger.
Wie lange noch muß diese Welt gebären?
Wie grausam, Schicksal, kann dein Uhrwerk sein.
Ich kann den Zahnradgang der Räder hören,
doch sind nicht Zifferblatt noch Zeiger dein.

Sie kommt, sie kommt, auch Gott kann sie nicht halten,
wie Felsgeröll, das in den Abgrund fällt:
Ob Leben, Tod, Fluch oder Segen walten,
wer kann es sagen, wer auf dieser Welt?
Unschlüssig ist das Volk, die Denker mürbe,
der Zweifel drückt sie wie ein finstrer Bann.
Wenn doch die Frucht in deinem Schoße stürbe…
O Zeit, verweil, erbarm dich, halte an!

Oh unerträglich dieses Zweifels Qualen!
Man spürt des Würfelns fürchterliche Pein,
gern dehnten wir die Zeit, bevor sie fallen,
die Würfel, – sie entscheiden unser Sein.
Ein Schritt in qualmende Unendlichkeiten,
wo ineinanderwirbeln Sein und Tod.
Wir klammern uns an unsre Elendszeiten,
halt noch ein wenig, Strohhalm in der Not!

Wart noch – doch welches Zagen, welche Reue!
Fort, Angstgesichter, euch will ich nicht sehn!
Vemunft und wahre Patriotentreue,
macht das nicht Mut uns, alles zu bestehn?
Und kämpfen ohne Hoffnung, ohne Glauben
an einen Sieg, den keiner vor sich sieht?
Nein – betet, laßt die Kräfte euch nicht rauben
und stimmet an gestählt das Siegeslied.

Laß, Himmel, nicht Millionen von Gebeten
so ungehört zergehn in deinem Schoß!
Ist so viel Blut der Opfer denn vonnöten,
sinnlos versickernd, wo man es vergoß?
Wo tote Märtyrer dort in der stillen
Scholle verfaulen, muß das Leben neu
entstehn und immer weitre Kreise füllen!
Mein Land, vertrau der Zukunft und sei treu.

Nicht immer ist der Mensch des Schicksals Meister,
oft ist’s ein Weiser, manchmal auch ein Narr,
und ist die Hand ermattet, sind die Geister
der unheilvollen Nacht des Mitleids bar.
So läßt der Mensch sich wie eine Maschine
oft träge weitertreiben. Doch so wie
er zu sich kommt in seinem besten Sinne,
erwacht auch neue, höhre Harmonie.

Der Zeiten Flut läßt sich zurück nicht drängen,
sie zwingt und stößt uns vorwärts ohne Halt.
Nur an den Rändern bleiben Algen hängen,
und wendet rückwärts sich des Stroms Gewalt.
Getrost, uns trägt der Hauptstrom in die Weite,
und scheitert mancher auch an hartem Riff,
doch fliegend, mit den Ersten Seit an Seite
gebläht die Segel, vorwärts jagt das Schiff.

ANNEMARIE BOSTROEM

Brief der Redaktion

AN MÓR JÓKAI

Da der Reichstag nun vertagt ist,
braucht man keine Diktion.
Jeder weiß, wofür wir kämpften,
war ja nichts als Fiktion.
Stiller Frohsinn herrscht im Lande,
ja, wir hüpfen wie der Sperling,
doch daß wir’s zu toll nicht treiben,
dafür sorgt schon Herr von Schm(erling).

Laß die Sorgen drum, mein Maurus,
geh nicht mehr ins Parlament,
auch das Neugebäude meide,
wo man ohnehin dich kennt.
Geh in dich, und beichte also:
„Oft war, was ich sagte, Phrase,
nicht die reine Wahrheit eben,
faß ich selbst mich an der Nase.

Kurzgeschichten, die versprochnen,
sollten indisch, türkisch sein,
auch die Frist stand festgeschrieben:
Tag des heiligen Nimmerlein.
Immer blieb es beim Versprechen,
alle Nimmerleins verflogen,
die je standen im Kalender,
ich gesteh’s, ich hab gelogen!

Schweinerei, ich kann’s nicht leugnen,
was ich, Freund, Dir angetan,
dafür kriegst ein Meisterstück Du,
ja, ich fang noch heute an!
So was stand noch nie im Heute,
werden alle Leser sagen,
und sich nie was Beßres wünschen –
zum Beispiel: als Totenlaken!”

GÉZA ENGL

Zynismus

Zynismus – werte ’Allgemeine’ –
dies Wort, wird’s falsch gebraucht, beweist,
daß selbst Studierte oft nicht wissen,
daß ’Hund’ auf griechisch ’Kyon’ heißt.

Nur, weil wir Ungarn bleiben wollen,
nennt man uns so?… Das find ich dreist!
Herr Doktor, lassen Sie sich raten:
Reizt diesen Hund nicht, denn er beißt!

Ja, dieser Hund ist eine Dogge,
die wilde Stiere schon zerriß!
An Wuchs und Stärke gleicht ihr keiner!
Sie schläft jetzt, zeigt nicht ihr Gebiß…

Darf ihn nun jeder Hase hänseln
wie einen Jaghund, der vergreist?…
Herr Doktor, lassen Sie sich raten:
Reizt diese Dogge nicht, sie beißt!

GÉZA ENGL

Epilog

Meinen Lebensweg, den langen,
bin ich meist zu Fuß gegangen,
ja, zu Fuß,
höchstens fuhr ich Pferdebus.

Oh, ich sah viel stolze Wagen,
Räder, Böcke, reich beschlagen,
doch – mein Eid! –
Nie empfand ich dabei Neid!

Wer darin saß, war mir gleich.
Stolz der Herr, die Dame reich,
rümpft die Nase
über mich dort auf der Straße.

Ritt vorbei ein Stutzer keck
und bespritzte mich mit Dreck,
nicht ein Wort
sagt ich, wischte stumm es fort.

Doch am Rande dort und hier
blühte manches Blümchen mir,
wenn ich’s pflückte,
merkt ich, daß mir vieles glückte.

Auf dem Weg, den ich gegangen,
konnt ich vieles nicht erlangen,
manchmal mehr,
als ich suchte. Meist war’s schwer.

Titel gab es ungebeten,
Ruhm, nicht immer zu vertreten.
‘s wär schon was,
hätt ich nur an Ehrung Spaß.

Die mich stolz und eitel hießen,
glaubten glücklich mich zu wissen.
Glück im Leben
wird’s nie ohne Neider geben.

Wenn der Zweifel mich verzehrt,
ob mein Lied des Strebens wert,
brennt der Lohn
wie ein Nessushemd mich schon.

Wieviel Arbeit lag vor mir,
und wie wenig schafft ich hier,
halb und kaum…
Wie oft narrte mich ein Traum!

Bin des Lebens Weg gegangen.
Was ich liebend gern umfangen,
bracht mir’s nimmer,
das verweigert es immer!

Ruh und Unabhängigkeit
und für meine Lieder Zeit
wollt ich bitten,
doch man hat es nicht gelitten.

Nur ein kühles Nest im Garten,
meine Muse zu erwarten,
mir verschrieben,
drinnen ich und meine Lieben.

Frohes Alter, rege Hände,
wie am Anfang, so am Ende:
‘s wär das Ganze,
daß ich wieder propfe, pflanze!

Käm es jetzt, es käm zu spät,
da es bald zur Ruhe geht.
Kannst du singen,
fliegen, selbst aus off’nem Bauer,
Vogel mit gestutzten Schwingen?

ANNEMARIE BOSTROEM

Auf dem Jahrmarkt

Ländliches Fuhrwerk, mit Schilf überdacht,
drei kleine Klepper – was habt ihr gebracht?
Habt ihr vom rötlichen Weizen geladen?
Bringt ihr vom Heu, von der Wiese den Atem?

Sagt mir, daheim ist gereift schon die Saat?
Kahl sind die Wiesen, vorbei ist die Mahd…
Putzige Reiher vom Schober hochoben
sehen des Schnittervolks fröhliches Toben.

Lange schon sahn sie so froh nicht die Schar,
da jeder Sommer nur Kummer gebar.
Kündet nun endlich dies reiche Gelände
unserem Ungarland glückliche Wende?

Daß es gesegnet sei, froh immerdar,
Gottes erwählte Flur, die es einst war,
als ich noch Garben beim Schnitt binden sollte,
und es nicht schaffte, sosehr ich auch wollte.

Weil zu der Arbeit ein Schwächling, ein Tropf,
lud ich mit Wissenschaft voll mir den Kopf,
zieh mit der Feder nun Furchen aus Worten –
stolz macht’s mich nicht grad, was daraus geworden.

Aber seitdem ich vom Dorf weggemußt,
blieb mir für ewig ein Dorn in der Brust.
Heftiger fängt an das Herz mir zu schlagen,
seh ich dich, weizenbeladener Wagen.

GÉZA ENGL

Der alte Herr und seine Zither

Der alte Herr hat eine brave Zither,
fällt ihm was ein, wird ihm die Muße bitter,
nimmt er das gute Ding in seine Hände
und spielt für sich und für die stillen Wände.

Kein Mensch hört zu bei diesem Musizieren,
er will sich ja, weiß Gott, nicht produzieren.
Er denkt, halb taub, halb blind, nicht an die Leute,
er klimpert eben nur zur eignen Freude.

Was man im Land seit hundert Jahren leiert,
wofür man heut die Liedermacher feiert,
das ist ihm fremd, die Töne wie die Worte.
Was er da zupft, ist von ganz andrer Sorte.

Altungarische, mal auch deutsche Weisen,
die lauten Töne wechseln ab mit leisen:
So sangen einst, so klagten die Betyaren,
als sie gejagte Herrn der Pußta waren.

Ein wilder Schrei, ein zügelloser Wille -,
die Saite schrillt, verklingt, dann tiefe Stille,
es gleißt die Melodie wie eine Schlange,
sie lockt, sie stirbt – du hörst sie doch noch lange.

Ein Liedchen folgt, es schleicht sich in die Ohren,
man fühlt, ein Meisterwerk wird hier geboren.
Zum Tanzen fordert auf ein sanfter Rhythmus,
ein Windhauch, bei dem jedes Blättchen mit muß.

Manchmal erwacht ein Sang in trüben Stunden,
den einst vielleicht die Lutherzeit erfunden,
beschwert von Sündenlast, von bittrer Reue,
und hebt das Herz empor zu Gott in Treue.

Das alles kriegt er nicht heraus beim Klimpern,
er fühlt es nur mit tränenfeuchten Wimpern.
Mal ist er selbst an einem Mißton schuldig,
mal ist’s das Instrument – man wird geduldig.

Er läßt das alte Stück niemals verstauben,
manch ein Akkord gibt ihm zurück den Glauben,
gar vieles rufen wach die alten Lieder,
ein Takt, ein Wort – was lebt nicht alles wieder!

Und spielt der Alte Lieder ohne Worte,
erinnern sie an Menschen, Zeiten, Orte,
dies lernte er von dem und das vom andern,
zu Haus als Kind und später wohl beim Wandern.

Manchmal entspringt ein neues Lied der Saite.
Aufschreiben? Ach, mag’s fliegen in die Weite.
Und fällt’s ihm wieder ein, ein Klang, ein leiser…
Hat er’s gehört? Hat er’s geträumt? Was weiß er…

Dem alten Herrn kann’s gar nicht mehr gefallen,
daß ihm die Lieder mehr und mehr entfallen.
Auch seine Kunst wird Tag für Tag geringer,
taugt nur als Übung für die steifen Finger.

Mach trotzdem weiter, Alter, laß dir raten:
Die Zither hilft, würdst du in Not geraten.
Setzt du dich an den Wegrand mit dem Teller,
entlockt dein Spiel den Leuten ein paar Heller.

GÉZA ENGL

Stirb singend

Drück, noch wenn der Tod kommt,
die Laute, die Laute
an dich: denn du weißt,
solang du in Übung
bleibst, löst sich, was Trübung war,
tröstlich im Geist.

Drum leg sie nicht nieder.
Auch wenn deine Glieder
nicht sieden von Wein
und Liebe: bereiten
nicht wechselnde Zeiten
dir Freude und Pein?…

Schön ist ja das Leben
bis in sein Verschweben.
Nur zehre am Rest
besonnen: erträume
für herbstliche Bäume
kein Sommernachtsfest.

Ist Hoffnung zerstoben,
deckt Aschenrauch droben
die Sonne halb zu, –
genieß das noch Blaue,
zerstreue das Graue,
sei heiterer: d u .

Erschlafft ist die Laute
nicht, nur der vertraute
Klangumfang verrückt:
Nimm’s an, und erfahre,
wie oft noch der klare
Gesang dich beglückt.

Stoff? Draußen und innen, –
Gefühle durchrinnen
dein Herz bis zuletzt,
neu gären Ideen.
Nicht faul widerstehen,
die Laute ruft: Jetzt!

Du singe ob einer
dir zuhört, ob keiner,
gab Gott dir das Glück.
Und mag auch dein Singen
so nutzlos verklingen
wie Grillenmusik.

MARKUS BIELER

Nach dreißig Jahren *

* Zum dreißigsten Todestag von Sándor Petőfi

Du kommst auch heute noch zu mir im Traum zuweilen,
das Grab vermochte deine Unruh nicht zu heilen,
sofern dir fromme Hände je ein Grab bescherten,
und nicht dein Ebenbild herumstreift noch auf Erden.

Wenn unser Volk den Glauben der Hellenen hätte,
dann stünde ein Mal an jener heiligen Stätte,
wo du verschwandst. Du weiltest in den ewigen Hallen
der Götter, tränkst den Nektar dort vereint mit allen.

Wie immer auch, die Jahre ließen uns vergreisen,
dieweil sie nicht aufhörten, dich, nur dich zu preisen.
Was du uns gabst, davon ging nicht ein Korn verloren,
es wird ja in den Söhnen immer neugeboren.

Ich aber war mit dir ein Leib und eine Seele,
so daß ich mich noch immer mit der Frage quäle:
Hat mit der Picke ein Kosak dein Herz durchstochen?
Hat ein Walach mit Beil dir blöd das Haupt zerbrochen?

GÉZA ENGL

Die alte Klage

„Ach, was kümmert dich die Zukunft,
grämt dich die Vergangenheit!
Tränen sind genug geflossen,
nur auf welkem Laub vergossen,
wo kein Hoffen mehr gedeiht.

Schuld und Fluch grausamer Zeiten,
lasten sie auf dir allein?
Leiden andre nicht im Lande
grad wie du an all der Schande
seufzend in Gewissenspein?…“

Hast du solche Leidgenossen,
wird dadurch dein Herz geheilt?
Kann Gemeinsamkeit vermindern
den Verwaisungschmerz von Kindern?
Jedes fühlt ihn ungeteilt!

Schwerer wird dein eigner Kummer,
doppelt Leid wird dir zum Lohn.
Willst du andrer Wunden heilen,
mußt du ihre Schmerzen teilen,
traumbefangner Musensohn!

Wie wir hofften und uns täuschten!
Wollten in uns gehend dann
einen Aussichtspunkt erkunden,
stürzten ab, als er gefunden,
klagen nun uns selber an.

Wieviel Hefe kam nach oben
im Geschäum, wie wenig Wein!
Allzu viele ohn Gewissen
schnappten nach den besten Bissen.
Patrioten?… Nur zum Schein!

Wieviel Maulhelden auch barmten
um des Vaterlandes Not!
Führten nur das Wort im Munde,
schwätzten nur, da schon zugrunde
ging der teuren Heimat Boot.

Ist fürwahr so unabwendlich
unsres Volkes Untergang,
daß wir, fremder Macht ergeben
hilflos uns nicht mehr erheben?
Sind wir so unheilbar krank?…

MARTIN REMANÉ

Unter Eichenbäumen

Unter Eichenbäumen
ruh ich allzu gerne,
wo der Stadt Gelärme
mich nicht stören kann.
Durch ihr grünes Laubdach
haucht des Himmels Ferne
Licht- und Schattenspiele
auf den Wiesenplan.

Heimisch fühl ich mich nur
unter diesen Bäumen,
denk an meine Jugend,
die so schnell verging.
Herrlich von der Kindheit
läßt es sich hier träumen,
wie ich in die Wipfel
stieg und Vögel fing.

Aufgereiht auf Spießen
von den Kameraden,
wurden dann die Kleinen,
wenn das Feuer hell
lohte, ohn’ Bedenken
in der Glut gebraten.
Dämmerte der Abend,
ging’s nach Hause schnell.

Unter Eichenbäumen
hab ich dann, auch später
gern geweilt… Die Vögel
ließ ich zwar in Ruh.
Angespornt von andren
ichsüchtigen Träumen,
neigte ich als Jüngling
schönrer Jagdlust zu.

Doch wohin auch jemals
mich die Sehnsucht führte,
nirgendwo – und war’s ein
wahres Kanaan –
stand ich unter Eichen,
nirgendwo je rührte
so wie in der Heimat,
mich ihr Rauschen an.

Unter fremden Eichen
saß ich wie verloren,
träumte von den Wäldern
meiner Vaterstadt…
Hört’ ich in der Ferne
rattern Schiffsmotoren,
grüßte mich der Heimat
Wassermühlenrad.

Unter meinen Eichen
ließ ich’s nun zu sitzen,
bis die Abendkühle
mich nach Hause treibt,
und die Wolkenaugen
gar bedrohlich blitzen,
daß, wer alt und krank ist,
gern am Ofen bleibt.

Unter meinen Eichen
möcht ich gerne liegen,
wenn am Todestor ich
zahlen muß den Zoll…
Doch wo immer meine
Ruhstatt sich wird fügen,
will ich, daß aus Eiche
Sarg und Kreuz sein soll…

MARTIN REMANÉ

Generalsekretariat *

* Als der Dichter zum Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften ernannt wurde

Schön ist, gewiß, die Ehre,
doch schwierig das Geschäft.
Wenn ich noch Messer wäre
und nicht nur noch das Heft.

GÉZA ENGL

In fruchtloser Stunde

Blick ich in die große Nacht hinein,
Erde schlief in ihrem Schatten ein:
Meteore fallen hier und dort,
Die Gedanken kommen, gehen fort.

Seifenblasen scheinen sie zu sein,
glitzernd, wie der fernen Sterne Schein:
Doch nur bruchstückhaft ist beider Bahn,
sie zerplatzen, eh sie ganz sich nahn.

ANNEMARIE BOSTROEM

Brückenweihe

„Verdammt! Jetzt setz ich doppelt, Leute!”
Der Jüngling sprach’s, die Karte fällt.
„Um alles oder nichts geht’s heute!
Mein letzter Coup, mein letztes Geld!”…
Vorbei! Verspielt! Vom Glück geprellt!…

Die Hoffnung eines jungen Lebens
vertan, zunichte jäh gemacht!
Ein Widerruf- zu spät, vergebens!
Um alles hat er sich gebracht!…
Er wankt hinaus… Schwarz ist die Nacht.

Vor ihm der Strom… Noch wehn die Fahnen,
der neuen Brücke Feierkleid,
an Margarete zu gemahnen,
die heilige Jungfrau, der man heut
sie fromm und festlich hat geweiht.

Zur Brückenmitte, wo die Streben
vernietet sind, treibt ihn sein Leid,
indes vier Türme rings anheben
ihr dumpfes Mitternachtsgeläut,
und Sternglanz blinkt im Strom verstreut.

Die Uhren hallen her von ferne
teils hell, teils tief, der Jüngling lenkt
den Blick zum Spiegelbild der Sterne,
wo spukhaft, wenn die Flut sich senkt,
ein Schwarm von Köpfen aufwärts drängt.

Jünglinge, Mädchen, Kinder, Greise!…
Neugierig scheinen sie zu sein…
Sie tauchen auf, erst flüsternd leise,
bis sie beginnen laut zu schrein:
„Kommt, weiht die neue Brücke ein!

Wer springt als erster von uns allen?”…
Ein Liebespaar in Weiß erscheint,
schwebt hoch zur Brücke, läßt sich fallen
und ruft umarmt: „Im Tod vereint!
Die Welt war unsrer Liebe feind!”

Und dann steht auf dem Brückenbogen
ein Millionär… Beifall erklingt.
„Die Schuldner haben mich betrogen!
Ich tu das nicht!” – ruft er… und springt.
Aufschäumt die Flut, die ihn verschlingt.

Der dritte tritt an die Barriere.
„Ein Wechsel platzte mir! Ich hab
verpaßt den Zahltag! Meine Ehre
ist hin! Ich wasch die Schande ab!”
– stöhnt er – und stürzt ins Wellengrab.

Die Wellen kreiseln, und der vierte,
ein Jüngling, sprungentschlossen spricht:
„Als ich die Prima absolvierte,
ging aus das Geld mir armen Wicht,
Kredit jedoch bekam ich nicht!”

Ein würdiger Greis mit weißen Haaren
schleppt sich zur Brücke nun hinauf:
„Zu lang zog ich den Lebenskarren,
der Lohn blieb aus, ich geb es auf!
Strom, nimm mich hin in deinen Lauf!”

Gelangweilt klagt dann ihre Leiden
ein Dämchen, zart geschminkt und fein:
„Ich hab es satt, mich umzukleiden
für andere tagaus, tagein!”,
und stürzt sich in den Strom hinein.

Drauf steigt mit protzigem Gehabe
steifbeinig ein Skelett empor,
und knarrt: „Vor meinem Marschallstabe
floh selbst Napoleon, dieser Tor!” –
„Der Narr!” – raunt rings der Toten Chor.

Ein Bursch in Lumpen hört ihn prahlen,
springt ins Genick ihm, sodaß sie
zusammen in die Fluten fallen.
„Herr Meister” – ruft der Junge – „nie
legst du mich wieder übers Knie!”

„Steinreich war ich, doch jetzt bekommen
mir keinerlei Genüsse mehr!” –
„Die Jüngere hat der Kerl genommen,
so treu ich ihm auch war bisher!”
– Sie klagen, springen kreuz und quer.

„Das Los entschied. Ich hab geschworen
mich selbst zu richten – nun wohlan!” –
„Ich hatte alle Scham verloren,
hab mir dadurch verscherzt den Mann!
Donau, nimm du als Braut mich an!”

Dann, nicht mehr einzeln, nein, in Reihen
springen sie von der Brücke ab,
wirbeln wie Vögel hoch und schreien,
fallen wie Fische stumm hinab,
zum Tod gewillt im Wellengrab.

Schaumkronen steigen wie Fontänen,
Luftblasen quellen rings herauf.
Die Todessüchtigen kreisen, stöhnen
dem Mühlrad gleich hinab, hinauf.
Die Donau nimmt sie alle auf.

Der Jüngling starrt in dies Getümmel,
steht wie betäubt, sieht gar nichts mehr.
Und wilder stets wird das Gewimmel
in pausenloser Wiederkehr.
Jäh reißt der Sog ihn hinterher…

Wer kann dem Wahnsinn widerstehen,
der Hölle Zauber brechen, wer
die Schicksalsuhren rückwärts drehen?…
’Eins’ schlägt es dröhnend, dumpf und schwer…
Der Mond sieht Strom und Brücke – leer.

MARTIN REMANÉ

Zivilisation

Früher, wenn man Kriege führte,
sprach man von Moral nicht viel.
Von dem Schwachen nahm der Starke
einfach weg, was ihm gefiel.

Heut ist’s anders. Konferenzen
wägen streng, was jeder tut.
Was der Starke sich aneignet,
prüft der Rat und – heißt es gut.

GÉZA ENGL

Formzwang

Halte dein Roß, das sich lässig gebärdet, energisch im Zaume:
Stolz wird es setzen das Bein, tänzerisch heben den Hals.

GÉZA ENGL

Dieses Leben

Ein Gelage ist dies Leben:
Auch du mußt dein Glas erheben,
Freud und Leid gilt es zu grüßen,
sei’s vom Sauren, sei’s vom Süßen.

Trinke wie aus tiefster Brust,
Lust folgt Leid und Leid folgt Lust.
Viele schlürften wild das Naß,
wenige wie ich mit Maß.

Die mit mir beim Wein gesessen,
liegen drunten schon indessen,
ich, der stets den Rausch vermieden,
halt den Platz, der mir beschieden.

Blick ich auf die Trümmerreste,
scheinen öd mir solche Feste!
Trank ich denn nicht zur Genüge,
daß ich nicht dort unten liege?

ANNEMARIE BOSTROEM

Ein Philosophe

Hab gehofft, mein Leben,
wenn’s zur Neige geht,
stoisch zu beenden,
ohne Angstgebet.

Einen heitern Ausklang,
Lied mit frohem End,
bleibt es unvollendet,
schreibt man drauf: Fragment.

Vanitas!… Mein Singen
klang nicht froh im Ohr,
nichts von heitrer Hoffnung,
kein Vitz, kein Humor.

Zahme Musen geben
mir nur das Geleit,
und statt Komos bleibt mir
nichts als Traurigkeit.

MARTIN REMANÉ

Ahnung

Was du jung begonnen, sollst du lieber lassen,
das spät Angehängte würde doch nicht passen.
Solch ein Mischwerk wird sich selten nur bewähren,
als „Fragment” im Nachlaß kommt es noch zu Ehren.

GÉZA ENGL

Alter Schauspieler

Ein, zwei Szenen noch – dann wird der Vorhang fallen,
Pfiff, Applaus – man weiß nicht, ob das Stück gefallen.
Bald gehn aus die Lichter, hört auf das Geschmetter,
eben noch Theater -, nun sind’s tote Bretter.
Wertes Publikum -, es eilt nach Haus zum Essen,
ob es lachte, weinte, hat es bald vergessen…
Und das lange Drama, das mich ging so viel an,
wird nunmehr für immer abgesetzt vom Spielplan.

GÉZA ENGL

Vorahnung

Bin bald sechsundsechzig. Gott wird wohl befinden,
es sei an der Zeit, in Garben mich zu binden,
einzubringen in den alten, vollen Speicher.
Junge Saat auf meinem Platz trägt sicher reicher.

Gedichte,AUSWAHL,CORVINA KIADÓ 1984

Quelle:
https://mek.oszk.hu/00500/00594/00594.htm