„Der österreichische Pinsel malt die Ungarn mit derben Zügen, dunklen Farben und meißelt ihre historischen Erinnerungen allzu scharf…”
Zitat: Ferenc II. Rákóczi: Erinnerungen

Wie kam es zu dem Freiheitskrieg?

Das letzte Jahr des 17. Jahrhunderts fing mit einem historischen Ereignis an, das in Ungarns Schicksal sowohl als Schlusspunkt als auch als Meilenstein diente. Das berüchtigte Friedensabkommen von Karlowitz (1699) setzte der 150-jährigen Türkenherrschaft ein jähes Ende; gleichzeitig breitete sich die Macht der Habsburger auf ganz Ungarn aus. Die Hand der Wiener Kanzellerie reichte nun von Transdanubien über Ober- und Südungarn bis Siebenbürgen.

Die Jahrhundertwende war an der westlichen Ecke Europas ebenfalls von einer Umverteilung der Machtverhältnisse gekennzeichnet: Nachdem der spanische Zweig der Habsburger auf der Iberischen Halbinsel erloschen war, versuchte der französische König Ludwig XIV. seine eigene Dynastie auf den spanischen Thron zu setzen, um Wien von seinem spanischen Hinterland zu trennen.
Im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) mit seinem Ziel die Habsburger Krone endgültig ins Wanken zu bringen, enstand eine augenblickliche Interessengemeinschaft zwischen Frankreich und Ungarn. Die Verhandlungspartner waren alles andere als gleichberechtigt: König Ludwig XIV. und der ungarische Magnat Ferenc Rákóczi (1676-1735). Der eine sollte Geld, der andere ein aus diesen Mitteln aufgestelltes, schlagkräftiges Heer in diese Zweckehe einbringen.

Rákóczi stammte aus einer fürstlichen Familie Siebenbürgens und konnte Verwandte aufweisen, die für Ungarns Freiheit bereits einiges getan hatten – darunter Stephan Báthory, der spätere Polenkönig, Ilona Zrinyi, die heldenhafte Verteidigerin der Burg Munkács (heute Mukacevo, Ukraine) und der letzte transsylvanische Fürst Imre Thököly.

Der Geheimpakt kam jedoch nicht zustande, da ein kaiserlicher Offizier die ungarisch-franzözische Ambitionen verraten hatte; Kaiser Joseph I. ließ Fürst Rákoczi daraufhin in die Festung Wiener Neustadt einsperren. Zweifelsohne erwartete ihn ein Prozess wegen Hochverrat und der Galgen; um so mehr, als andere Verwandte und Vorbilder des jungen Rákóczi (Péter Zrinyi, Ferenc Frangepán u.a.) hier bereits hingerichtet worden waren. Ursprünglich hatte Rákóczi als Favorit des Wiener Hofes gegolten. Er wurde im Schatten des Kaisers erzogen und studierte in Prag. Er besaß 20 Domänen, 38 stark befestigte Schlösser, 681 Dörfer und nahezu zwei Mio. Morgen Land, vonTokaj gar nicht die Rede.
Nun saß er praktisch als „Feind Nr. 1.” bei seinen ehemaligen Gönnern in Haft.

In dieser aussichtslosen Situation eilte ihm jedoch seine deutschstämmige Ehefrau, Charlotte-Amalie von Hessen-Rheinfeld zur Hilfe.
Der 7. November 1701 ging als eine der berühmtesten Gefängnisfluchten in die Geschichte ein. Durch ihre Schönheit und ihren Charme gewann die gutaussehende Charlotte den Festungskommandanten für ihren Befreiungsplan. Rákóczi gelang es, als Soldat verkleidet den Kerker zu verlassen. Der Kaiser nahm jedoch Rache: Rákóczi musste das Land verlassen, während seine Frau und Kinder als Geiseln am Wiener Hof festgehalten wurden.

Mehr als zwei Jahre lang wartete Rákóczi hinter der ungarischen Grenze auf den richtigen Augenblick, seine Pläne zur Befreiung des Landes von der Habsburger Herrschaft in die Tat umzusetzen.
Der Auftakt brachte allerdings eine Enttäuschung mit sich: Einige Kilometer von seinem polnischen Aufenthaltsort entfernt, an der ungarischen Grenze, erwarteten ihn statt dem in Aussicht gestellten Heer insgesamt 250 Infanteristen, 50 Reiter sowie eine Schar slowakischer, ungarischer und ruthenischer Bauern, die mit Mistgabeln und Sensen ausgerüstet waren. Rákóczi betrachtete diese armen Menschen vom ersten Augenblick an als seine Verbündeten. An sie konnte er glauben, als er den Einführungssatz seines berühmten Manifestes niederschrieb: „Recrudescunt inclitae gentis hungarae volnera…” (Es brechen wieder die offenen Wunden der edlen ungarischen Nation auf…).

Der Aufstand von Rákóczi wurde nur von einem Teil des Adels getragen.

Die Kuruzzen (nach der ungarischen Version des Wortes Kreuzritter benannt) kämpften hier mit den Labanzen (nach der Überlieferung aus dem Kampfruf „Lauf, Hans!”), die jedoch teilweise selbst ungarische Überläufer waren.

Zeitgenossen und Historiker späterer Zeiten heben sein Organisationstalent, seine Rednerkunst und sein Führungspotential hervor. Eines ist sicher: binnen kurzer Zeit gelang es ihm, seine Mannschaft auf 75.000 Mann aufzustocken. Daran beteiligten sich auch Adelige und Bürger, die praktisch als Sprecher der Interessen des Landes fungierten. Der Unterhalt seiner Leute erfolgte jedoch nicht aus den versprochenen französischen Geldern: die Versailler Unterstützung in Höhe von monatlich 30-50.000 Livre (=jährlich ca. 300.000 damalige Forint) reichte für den Sold von etwa 4000 Kriegern aus. Die vom Westen kommende immaterielle Hilfe war ebenfalls gering: In den Jahren des Freiheitskrieges tauchten in Ungarn nicht mehr als 1000-1500 französische Soldaten auf. Die Verwalter der leeren Heereskasse blickten nun erwartungsvoll auf die Adeligen und freiwilligen Steuerzahler. Die Aufstellung eines Soldaten kostete 23,5 Forint. Diese innerbetriebliche Zusammenarbeit der zwei feudalen Schichten, der Aristokraten und ihrer Leibeigenen, verlief alles andere als reibungslos, zumal die zu Hause gebliebenen Familienangehörigen der eingezogenen Bauern ihren Herren keinerlei Abgaben zu entrichten hatten.

Später schrieb Rákóczi über die französisch-ungarische Zusammenarbeit und das Heeresbudget in seinen Erinnerungen: „Diese Hoffnung (auf die Hilfe der Franzosen) war der einzige Grund, weshalb ich den Krieg angefangen hatte.(…) Ich leugne nicht, dass ich in den Kämpfen viel Irriges verursacht habe; und dass auch Andere manches verbrachen; aber mit menschlicher Vernunft betrachtet, waren es der Geldmangel und die allgemeine Unkenntnis auf dem Gebiet der Kriegsführung, die dem tapfer und gut begonnenen Kriege (…) ein Ende bereiteten.”

Die bayerische Rettung

Rákóczis Machtambitionen waren begrenzt und er strebte nicht nach der Krone des Landes. Aus diesem Grund entschied er sich, sich an den Verbündeten der Franzosen, den bayerischen Max Emanuel zu wenden, der sich als Heeresführer im Krieg gegen die Osmanen in Ungarn einen Namen gemacht hatte. Er versuchte, den „Blauen Fürst” durch seinen diplomatischen Gesandten dazu zu bewegen, sich im Falle der Entthronung der Habsburger auf dem nächsten Landtag in Ungarn der Königswahl zu stellen.

Doch der im Exil lebende bayerische Kurfürst zögerte, diese Herausforderung wahrzunehmen. Er wusste, dass es sich bei der Stephanskrone um eine Wahlkrone handelt, die er seinen Kindern nicht weitervererben konnte. Überdies stand auf der Kehrseite der Medaille wiederum der Sonnenkönig, mit dem er keineswegs in Konflikt geraten wollte. Über sein Dilemma schreibt sein Biograph, Ludwig Hüttl äusserst transparent: „Zwar bewunderte Max Emanuel die ungarischen Magnaten. Sie waren in seinen Augen Herren, die er in gewissem Sinne als gleichberechtigte Partner anerkannte. Positiv vermerkte Max Emanuel, dass Magnaten und nicht bäuerliche Untertanen den Aufstand anführten; dass die Ungarn für ihr legitimes Recht kämpften.(…) Doch zugleich war er ein absolutistischer Fürst, dessen Politik darauf ausgerichtet blieb, die Stände auszuschalten und die Alleinherrschaft über alle Untertanen auszuüben. Die ungarische Krone wäre eine Krone von der Stände Gnaden. Schließlich gingen die Überlegungen der Ungarn gerade dahin, dass Max Emanuel ohne grosse Hausmacht den ungarischen Magnaten nicht gefährlich werden konnte. Die Stände brauchten einen König, der willfährig und nicht allzu mächtig war.”

So erfolgte die Einberufung des Landtages in Ónod am 1. Mai 1707 ohne den bayerischen Hoffnungsträger. Das Protokoll verewigte die Worte des Hauptredners: ” Proclamatum est!
Eb ura fakó, mai napságtul fogvást József nem királyunk (…) inkább egy óra alatt elveszünk, semmint örökös jobbságot viseljünk!” (Sinngemäß: Zum Teufel! Von heute ab ist der Kaiser Joseph nicht unser König! Wir sind eher bereit, in einer Stunde zu sterben als eine ewige Sklaverei zu erdulden!”

Die langersehnte Entthronung stand jedoch nicht auf einer festen Basis. Die Magnaten fürchteten sich vor dem Chaos und bangten um ihre Besitztümer; daher verliessen sie in Massen das Heer. Der zum regierenden Fürst avancierte Rákóczi führte ein Jahr später, am 6. August 1708, seine 9000 ungarischen Infanteristen und 5000 Kavalleristen bei Trentschen (heute Trencin, Slowakei) gegen 8000 kaiserliche Soldaten. Rákóczi fiel von seinem Pferd und es wurde unter der Mannschaft verbreitet, er sei tot. Die in Panik geratenen ungarischen Soldaten erlitten eine bittere Niederlage. Die durch den Erfolg wieder zu Kräften kommenden Habsburger konnten jedoch ihren ungarischen Feind erst 1711 dazu bringen, die Waffen niederzulegen. Mit dem Frieden von Szatmár (30. April 1711) übernahmen wieder die Habsburger die Führung des Landes und die Kuruzzen gaben ihre Fahnen ab.

In den nächsten Tagen legten 12.000 ungarischen Soldaten den feierlichen Treueeid auf Kaiser Joseph I. ab. Fürst Rákóczi ging ins türkische Exil. In diesem Jahr traf er sich zum letzten Mal mit seiner Frau Charlotte Amalie, die ebenfalls in der Verbannung in Polen lebte. Rákóczi verbrachte seine letzten Jahren in gewisser politischer Aktivität und in religiöser Meditation im türkischen Rodosto/Tekirdag. Kelemen Mikes, der ebenfalls aus Siebenbürgen stammende Adlige, hielt in der türkischen Emigrantenkolonie in seinen, an eine fiktive Gräfin adressierten Briefen das hiesige Leben von Rákóczi fest. Über die würdevolle Behandlung des Fürsten zeugen u.a. sein Bericht über seine Ankunft sowie sein Ableben. Am 10. Oktober 1717 schreibt er:
„Unser Fürst hatte das Schiff verlassen, als ein Tataren-Khan, der allhier im Exilium lebt, ihm schon Geschenke sandte, unter anderem ein schönes gesatteltes Pferd. Der Fürst erhielt ein gutes Quartier, wir hingegen sind hundemäßig untergebracht.” Über Rákóczis Tod sagt er am 16. April 1735. „Gott hat uns zu Weisen gemacht und unseren geliebten Herrn heute nach drei Uhr früh aus unserer Mitte genommen. (…) Trauern wir aber nicht um unseren guten Vater – denn Gott hat ihn nach so vielen Leiden zum himmlischen Gastmahl geführt, wo er ihn aus dem Kelche der Freunden und Wonnen trinken lässt -, sondern trauern wir über uns selbst, die in großer Verlassenheit zurückgeblieben sind. (…) Der Leichnam ward von den Badern mit Kräutern einbalsamiert, denn wir wissen noch nicht, wann wir ihn nach Constancinopel bringen können. Die Bader meinten, man dürfte sich über seinen Tod nicht wundern, denn Magen und Blut waren voller Kot. Sein Gehirn war groß und doppelt so groß wie bei einem gewöhnlichen Menschen.”

Die Erinnerung an Rákóczi und seinen Freiheitskampf ist ein gern behandeltes Thema in der ungarischen Literatur und Kunst. Die zu Sagen gewordenen Geschichten über Rákóczi stellen den kräftigen langhaarigen Mann mit Schnurrbart als Idol der Tatkraft und Lebenslust dar. Auf seine politische Rehabilitation musste er jedoch lange warten: Erst im Jahre 1906 erklärte das ungarische Parlament das Gesetz von 1711 über sein Hochverrat für null und nichtig. Im gleichen Jahr wurden seine Überreste aus der Türkei (Rodosto -Tekirdag-) mit einem Sonderzug in seine Heimatstadt nach Kassa, Kosice benannt (Slowakei) überführt.